Der Lilith Code - Thriller
Büros. Jerusalem war dann wie ausgestorben. Die Orthodoxen hatten in den letzten Jahren die Stadt der großen Weltreligionen fest in ihre Hand bekommen. Selbst Parkhäuser blieben geschlossen. Lea und Shlomo waren Freunde seit der Militärzeit. Trotz der vielen Regierungswechsel hatten sie es immer geschafft zusammenzuarbeiten, doch ein Paarwaren sie nie geworden. Sie wurden Freunde, was in der Machogesellschaft des israelischen Militärs und der Politik des Staates fast an ein Wunder grenzte. Lea war das, was man im Westen »ein zähes Luder« nannte. Sie hatte wie alle Frauen den Wehrdienst abgeleistet und war auch in Kampfeinsätzen gewesen. Shlomo hatte sie zum Geheimdienst geholt, wo sie jahrelang in allen Ländern der Welt die Interessen des kleinen, aber mächtigen Staates auf legale wie auch illegale Weise vertreten hatte. Doch mit dem Alter kamen ihr, anders als Shlomo, Zweifel an ihrer Doktrin. Zu viele starben, zu wenig ging in die richtige Richtung. Lea wollte in ihrem Leben noch den Frieden erleben und fühlte sich so weit davon entfernt.
»Was sagst du zu den Anschlägen?«, fragte sie.
Der Sicherheitschef wiederholte seinen Gedanken, dass diese Ruhe aus Damaskus ihn eher verunsichere. Aber der nahende Sabbat ließ bei beiden keine Aufregung aufkommen.
Es waren die letzten ruhigen Stunden für Lea und Shlomo.
Aleppo, 17. 06., 13.45 Uhr
Wenn Sie ohne jegliches Urteil schauen, ohne irgendeine Wahl, nur einfach beobachten, dann ist in dieser Beobachtung kein Beobachter. In dem Augenblick, in dem der Beobachter hinzukommt, beginnt das Vorurteil, beginnen die Vorlieben und Abneigungen.
Aus: Krishnamurti, Gesammelte Werke
Der Arzt lachte ihn aus und glaubte, Faruk wolle einen Scherz machen, als er sich aus dem Bett drehte und den frisch gereinigten Anzug aus dem Schrank anzog. »Sie können nicht gehen. Sie hatten vor wenigen Stunden eine schwere Operation, Sie werden keine drei Schritte machen können.«
Das Falkengesicht sah ihn nur müde an und schüttelte den Kopf. »Ich übernehme die Verantwortung.«
Hustend und humpelnd kam Faruk Al-Ali aus dem Krankenhaus. Niemand holte ihn ab. Er nahm das nächstbeste Taxi, fuhr in sein Büro und setzte sich an den Schreibtisch. Dort sah er den verwaisten kleinen Tisch in der Ecke, an dem sein Assistent sonst saß, der nun auf dem islamischen Friedhof beigesetzt wurde.
Sie hatten ihm die ersten schriftlichen Erkenntnisse der Anschläge noch nicht auf den Tisch gelegt, keiner hatte mit seinem Wiederkommen so schnell gerechnet. Faruk hustete. Die Anschläge würden auch ohne ihn bearbeitet werden. Er wollte seinem Gefühl aus dem Krankenhaus weiter folgen. Diese Europäer standen in einem größeren Zusammenhang, er musste sie finden. Sie hatten etwas, was er instinktiv haben wollte. Auf seinem Computer erschien eine neue Mail, die nur aus Zahlen bestand. Sie war verschlüsselt. Er schrieb sich die Kolonnen auf und decodierte sie im Nachbarbüro an einem speziellen Terminal. Es war eine Aufforderung aus dem Palast, heute alle sicherheitsrelevanten Personenkreise in größtmöglicher Form zu observieren und bei Unklarheiten nötigenfalls festzusetzen. Man erwartete in den Abendstunden Störungen.
Al-Ali wollte der Order erst kaum Beachtung schenken. So etwas kam häufiger vor in diesem von Paranoia und überhitzten Gemütern bevölkerten Dienst. Aber die Nachricht stammte nicht vom Dienst selbst, sondern aus dem Palast. Das war ungewöhnlich. Doch auch die völlig vage Beschreibung, die sonst immer mit den Namen der verdächtigten Gruppierungen zumindest Hilfe bot, machte ihn stutzig. Der langjährige Geheimdienstmann wurde unruhig, als sein Telefon klingelte. Und dieses Gespräch ließ die Nachricht schnell vergessen. Sein Informant aus Manbej hatte ihm einen Tipp gegeben. Seine Europäer waren dort.
Al-Ali hinterließ eine Nachricht und humpelte die Treppehinunter zum Innenhof, wo die Einsatzfahrzeuge des Dienstes bereitstanden. Einem jungen Soldaten rief er zu, er solle einen Wagen vorfahren, der ihm vor Beflissenheit das Auto fast vor die Füße fuhr.
Wenig später fädelte Al-Ali sich in die Hauptstraße von Aleppo nach Nordosten ein. Unterwegs war er immer wieder eingekeilt zwischen Militärkolonnen. Ein um das andere Mal musste er in halsbrecherischen Manövern die Lkw mit den Panzern auf den Anhängern und Truppentransporter mit blutjungen Soldaten auf den Pritschen überholen, ehe er in die Provinzstadt einbog. Das Büro des Dienstes lag etwas
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