Der Lilith Code - Thriller
träumen? Unsere Religionen sind eben vielfältig.«
Jan schüttelte den Kopf. »Aber Juden und Christen töten nicht mehr im Namen des Glaubens.«
Der Junge lachte bitter auf. »Und warum benutzt der US-Präsident das Wort vom Kreuzzug gegen das Böse? Der Krieg im Irak war nicht nur ein Wirtschaftskrieg. Wie euer Käptn Ahab aus ›Moby Dick‹ jagen die Amerikaner und ihre Verbündeten den weißen Wal Islam und reißen die Welt beinahe mit in den Abgrund.«
Die Diskussion drohte außer Kontrolle zu geraten. Regina ging dazwischen. »Und was sagt der Koran über Gott?«
Hassan schluckte seine Wut hinunter und antwortete mit ruhiger Stimme. »Gott ist einzig, er ist Schöpfer aller Dinge, weise, mächtig. Er ist fähig, uns nach dem Tode auferstehen zu lassen und Rechenschaft von uns zu fordern über unser Betragen auf Erden. Er ist gerecht, barmherzig.«
»Ja, aber das sehen nicht alle Muslime genauso wie Sie als Sunnit, oder?«
»Sie sprechen von unseren schiitischen Brüdern.« Hassan ließ sich nicht aus der Fassung bringen. »Sie sind mehr fokussiert auf die Märtyrerschaft als wir Sunniten. Nicht weit von hier in der irakischen Wüste bei Kerbela starb im Jahr 680 Ihrer Zeitrechnung Hussein, Sohn Alis, in einer Schlacht. Es war der Gründungsmythos der Schiiten. Seither leben sie und wir Sunniten in unterschiedlichen Formen, dennoch vereint im Glauben des allerheiligsten Islam. Ihre Opferbereitschaft ist legendär, aber es sind eben auch unsere Brüder und Schwestern.«
Jan hatte den Islam immer als eine Sammlung enger Vorschriften begriffen, noch ernster und einengender als das Christentum. Er war Naturwissenschaftler, Grenzen und Tabus waren ihm immer ein Grauen, Freiheit eines der wertvollsten Dinge der Menschen. Jetzt saßen sie hier und hörten das genaue Gegenteil. Trotzdem konnte auch er sich nicht vom Zauber der Worte befreien.
»Sie sind Arzt. Wie oft kommen Menschen zu Ihnen, die Falsches essen oder trinken, schlecht leben? Sie wissen, dass es schädlich für ihr Leben ist. Sie mahnen, empfehlen.Und dennoch gehen sie den falschen Weg. So ist es mit uns allen. Allah, das Licht und Paradies, zeigt DEN Weg: Denn er kennt ihn. Und dennoch wollen wir es nicht sehen. Wir bestreiten das Böse, obwohl wir es täglich erleben. Nennen Sie es Zufall oder Schicksal. Aber es ist da.« Die Augen des jungen Syrers schauten eindringlich auf Jan, fast war es ihm, als ob sie ihn durchbohrten. »So sagt der Koran: Nicht belastet Gott eine Seele über Vermögen. Sie erhält, was sie verdient. Unser Herr, strafe uns nicht für Vergesslichkeit oder Sünde! Unser Herr, lege uns nicht auf eine Last, wie du sie den Früheren auflegtest! Unser Herr, und lass uns nicht tragen, wozu unsere Kraft nicht ausreicht; und vergib uns und verzeihe uns und erbarme dich unser! Du bist unser Beschützer. Und hilf uns wider das ungläubige Volk.«
Jan war erstaunt. »Das klingt wie das Vaterunser der Christen?«
Auch Regina stutzte. »Wer war damit gemeint, mit dem ungläubigen Volk? Die Juden?«
Hassan drehte sich abrupt zu ihr. »Es gibt keinen Zwang im Glauben. Klar ist nunmehr unterschieden das Rechte vom Irrtum; und wer den Taghut verleugnet und an Gott glaubt, der hält sich an der stärksten Handhabe, in der kein Spalt ist; und Gott ist hörend und wissend.« Dabei hob der Junge seinen Zeigefinger und richtete ihn gen Wüste, die sich hinter den Olivenfeldern im Südosten befand.
»Taghut? Was ist das?«, fragte Jan.
Hinter ihnen erhob sich eine Stimme. »Normalerweise bezeichnet der Begriff jemanden, der seine Grenzen überschreitet. Im Kontext des Korans steht es für ein Geschöpf, das die Regeln seines Gottes und Herrschers verletzt, um selbst göttlich zu sein und angebetet zu werden. Das Paradebeispiel ist der Teufel, von uns Shaytan genannt.«
Der Imam war aus dem Schatten des Hauses in die Sonne des Morgens getreten. Sein weißer Umhang leuchtete. Belustigt, aber auch stolz nickte er in Richtung seines Sohnes. »Er gibt nicht auf, die Ungläubigen zu bekehren.«
Jan schüttelte den Kopf. »Es ist eine großartige Einführung in eure Welt. Wir genießen das sehr und hören gespannt zu.«
»Glaubst du an das Böse?« Der Imam sank auf eines der Polster und goss sich Tee in eine kleine Tasse. »Ich meine euch beide«, er deutete auf Regina und dann wieder auf Jan, »wie ihr auch jeden Tag dagegen kämpft. Als Polizistin wie auch als Arzt, egal, ob das Böse sich uns in Form einer Krankheit oder in der Person
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