Der Lilith Code - Thriller
fuhr ungerührt fort: »Dann ist sie nach Ur in den Irak gereist, eine der ältesten Städte der Welt, um dort etwas über die Wettererscheinungen der Welt in Erfahrung zu bringen. Im Irak besuchte sie die Ruinen von Babylon. Das muss für sie sehr erhellend gewesen sein, denn sie beschreibt, dass sie dort die Hinweise für ›das Haus‹ erhielt und auch den ersten Hinweis auf die Seevölker bekam – Hunderte Kilometer entfernt von der Mittelmeerküste und an einem Ort, an dem die Seevölker niemals waren. Wie und warum ist nicht klar. Sie hat dort Zeichen auf gebrannten Tafeln entdeckt, wie sie hier schreibt.« Er blätterte weiter. »Ihre dritte Station führte sie nach Ägypten in die Oase Siwa, am Rande der Sahara. Die Aufzeichnungen sind sehr lückenhaft, aber sie muss sehr beeindruckt gewesen sein. Denn in ihren Aufzeichnungen glaubte sie sich erst am Ziel. Dann nach Wochen verließ sie enttäuscht nach Fehlschlägen und von etwas anderem, das sie nur als den ›Wind‹ beschreibt, verunsichert die Oase. Es zog sie nach Israel, nach Galiläa. Dort verlief ihre Suche nach einem Kultplatz ergebnislos.« Er hielt das Buch näher an sein Gesicht. »Jetzt wird ihre Schrift undeutlicher. Sie scheint besorgt zu sein. Südlich von Tel Avivtraf sie aber auf einen Studienkollegen, der einem eigenartigen Kult des Kindsmordes auf der Spur war. Er schien ihr Vorhaben nicht gutzuheißen und warnte sie. Es kam dort zum Streit, sie reiste weiter nach Syrien, nach Ugarit. Zwei Wochen später stirbt der Freund, sie hat eine Todesanzeige aus dem Internet ausgedruckt und dem Tagebuch beigelegt. Ihre sechste Station ist ungenau aufgeführt, vermutlich war es die Ruinenstadt Palmyra südlich von hier. Dort wurde sie ernsthaft von Beduinen bedroht. Sie beschreibt das sehr eindringlich. Erst warnen sie Almut, dann wird sie aus einer Tempelruine verscheucht. Und wieder schreibt sie vom Wind. Sie schläft jetzt nachts nicht mehr, nur noch tagsüber.«
Der Imam stützte sich auf und dehnte seinen Rücken. »Das ist etwas unbequem«, sagte er und trank ein wenig Tee.
Regina hatte sich auch aufgerichtet und rauchte.
Der Alte zeigte hinunter auf die Stadt. »Dann kam sie hierher, nach Manbej, zum Ruinenfeld draußen vor der Stadt. Es ist der Göttin Dea Syria geweiht. Hier traf sie sich mit europäischen Vertretern einer Sekte, die, so schreibt sie, auch nachts nicht schlafen.«
Jan schaltete sich ein. »Ist irgendwo beschrieben, warum sie nicht schläft? Ich meine, hatte sie vor etwas Angst?«
»Nein, kein Hinweis darauf.« Der Imam kniete sich wieder hin. »Als letzte Station reiste sie in die Türkei nach Sematar, östlich von Harran. Das ist insofern bedeutsam, als dort ihre Aufzeichnungen abrupt enden und sie dort wohl auch verschwunden sein muss. Sie hat aber immer etwas an diesen Orten gefunden. Es ist in einer Sprache, die ich nicht beherrsche, dokumentiert, aber auf Deutsch interpretiert. Und es waren Vorhersagen über Dinge, die bald geschehen sollten. Doch das können auch alles Resultate eines verwirrten Kopfes sein. Man gerät hier bei all den Göttern und Dämonen schnell in Verwirrung.« Jetzt war er wieder ganz der Imam, väterlich, fast gütig. Er verabschiedete sich mit dem Hinweis, dass er in die Moschee müsse, und ließ sich von seinem Sohn in die Stadt fahren.
Jan und Regina schwirrte der Kopf. Göttinnen, Kulte, Dämonen. Das war so gar nicht ihr Metier. Und beide wussten nicht, was Fiktion und Wahrheit war.
»Wenn Almut in der Türkei verschwunden ist, solltest du doch auch dort weitersuchen, oder nicht?«
Regina spürte, dass Jan sie aus dem Land locken wollte. »Ich habe da so ziemlich alles versucht. Aber diese neuen Erkenntnisse könnten vielleicht etwas weiterhelfen.«
Die beiden schwiegen. Regina trat wieder an die Brüstung, zündete sich eine Zigarette an und blickte in das weite Tal, das mit einigen grünen Parzellen zwar gesprenkelt, sonst aber völlig öd und voller Geröll vor ihr lag.
Jan trat hinter sie. »Wir müssen herausfinden, was die Prophezeiungen sagen. Das könnte der Hinweis sein. Der Imam meint, dass Almut es in einer sumerischen Keilschrift verfasste. Vielleicht können wir in Europa mehr dazu erfahren.«
Regina setzte sich auf die Brüstung und blickte ihn an. Wie Jan dort in der Mittagssonne stand, lang und sehnig, ruhig, aber doch bestimmt, gefiel er ihr. Er hatte das, was ihr so fehlte. Er war beherrscht, vorausschauend und sogar fürsorglich. Das Alter hatte ihn noch nicht
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