Der Lippenstift meiner Mutter
geschminkt habe, sehe ich beim Tanzen glaubwürdiger − erwachsener − aus. Deswegen will ich euch jetzt meinen einzigartigen psychedelischen Meistertanz vorführen – meine Eltern, vor allem Krzysiek, würden mich nämlich für diesen Exhibitionismus am liebsten in ein Jugendheim stecken, und das wäre mein Tod! Glaubt mir! Meine Mutter wirft mir vor, dass ich hysterisch und exaltiert bin.«
Der Franzose und Olcia waren sprachlos. Sie nahmen auf dem Sofa Platz, klatschten auf einmal in die Hände und sagten dann, sie seien bereit, er solle ganz einfach beginnen und keine Angst haben.
Bartek legte die Kassette mit »Ummagumma« ein. Olcia hatte von Krzysiek zu ihrem Sechzigsten einen japanischen Radiorecorder geschenkt bekommen − was jeden verwundert hatte, dass Barteks Vater zu solch einer Geste fähig gewesen war. Krzysiek konnte seiner Schwiegermutter nicht verzeihen, dass sie ihn öffentlich, meist bei Familientreffen oder in seinem Büro in der Wirkwarenfabrik, in der sie bis zur Rente dreißig Jahre lang eine Nähmaschine bedient hatte, wie einen Fremden behandelte. Aber nachdem er zweimal für einen ganzen Monat in die BRD gereist war, als Maler auf einer Baustelle schwarz gearbeitet und Devisen nach Hause gebracht hatte, schikanierte sie ihn immer seltener. Für seine Trunksucht hatte sie allerdings nach wie vor kein Verständnis, ja, sie gehörte einer riesigen Frauenarmee an, die nur einen Feind hatte: den Alkohol. Diese weibliche Armee hatte ihr Herz an die Heilige Jungfrau verkauft und ihre Libido den Pfarrern geopfert, und sie betrachtete die Männer nur als ein notwendiges Übel. Doch wie auch immer: Für die im Westen verdienten Devisen konnte Barteks Vater immerhin Schulden bei der Bank und bei Freunden zurückzahlen und die Wohnung mit neuesten Möbeln aus sozialistischer Produktion ausstatten.
Das Schusterkind zog sich bis auf die Unterhose aus, was von seinen Großeltern nicht einmal mit einem Lächeln kommentiert wurde, nein, der Franzose und seine Frau sanken immer tiefer ins Sofa, und der von Olcia lauter gedrehte Fernseher wurde seltsamerweise leiser, und zwar genau in dem Moment, als Bartek auf die Playtaste des Radiorecorders drückte: Er hatte vor seinem Auftritt Lampenfieber, jedes unnötige Geräusch störte ihn, in seinen Ohren hörte er schon die wilden Klänge aus Neuguinea.
Das Stück »Astronomy Domine« begann zaghaft und leise, um schon bald den astronomischen Himmel in Barteks Kopf zum Bersten zu bringen.
Im Kulturhaus von Dolina Ró ż hatte Bartek zusammen mit Anton und Marcin einige Rockkonzerte gesehen, doch sie gefielen ihm immer nur dann, wenn er ganz nah an der Bühne stehen konnte – in diesen ersten Reihen musste man sich seinen Platz zum Tanzen erkämpfen: zum Tanzen und Schreien. Aber hier in der Wohnung von Oma Olcia waren die Bedingungen exzellent, er war allein, und niemand konnte ihm verbieten, zu Beginn des Tanzes seine Lieblingsfiguren vorzustellen: den gekreuzigten Mann und den Embryo. Er legte sich auf dem Fußboden auf den Bauch, dann streckte er seine Arme aus, zog die Beine zusammen und sagte: »Ich bin das Schusterkind! Und ich muss auch mein Kreuz tragen. Jeder muss sein Kreuz tragen!« Und da seine Großeltern schwiegen – er schaute nicht einmal in ihre Gesichter −, wechselte er die Position und zeigte dem Franzosen und seiner Olcia den Embryo: Seine Knie berührten das Kinn, seine Arme waren verschränkt, die Handflächen ruhten auf dem Rücken, und seine Augen waren geschlossen – schmerzhaft zusammengekniffen. Dann sprang er auf und ließ seine jetzt senkrecht nach oben ausgestreckten Arme und den Kopf kreisen. Er begann, in der von ihm erfundenen, dem Englischen nachempfundenen Sprache zu singen: »If ju schol mi ju ar sing maj dwil toln end pis maj tschus ewri sin den baj o je kut mi du wi sen maj o je ken di wow si ba o je ba ma duuu …«
Bartek schloss nochmals die Augen, sang weiter, da ihm immer wieder neue phantastische Wörter einfielen, und seine Arme bewegten sich so wild und schnell, dass er das Gefühl hatte, sie müssten sich jederzeit selbstständig machen und davonfliegen − er hatte sie nicht mehr unter Kontrolle.
Barteks psychedelischer Song:
»Der geborstene Himmel in meinem Kopf«
Lajp li grin li ssotschia min defti ssan
Ewri maj di dastinaschon su
Bek tu ssotscha lu if ju get de mun
Lajk e stronger bonger fonger mu
Faron so maj etki pletki wu
Aj em de bower troger gu
Aj dink sink sseja ssa
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