Der lockende Ruf der grünen Insel: Roman (German Edition)
scherzte er, um seine Beklommenheit und Furcht zu überspielen. Denn dazu wurde es jetzt, dieses Gefühl der inneren Leere.
»Über diese Dinge scherzt man nicht.«
»Tja, was Besseres fällt mir leider nicht ein, da ich ja nun mal tot bin.«
»Aber nicht hier, nicht jetzt in dieser Zeit, Sean«, erklärte sie mit ernster Miene.
»Das ist kompletter Unsinn, was du redest, Danni.«
»Denk doch mal darüber nach«, entgegnete sie grimmig. »In ein paar Stunden wird etwas geschehen. Meine Mutter wird versuchen, meinen Vater zu verlassen und mit den Zwillingen fortzugehen. Ich glaube, du und dein Vater werdet sie begleiten. Doch dann geht irgendetwas schief. Ein Junge und eine Frau werden ermordet, und ihre Leichen werden in diesem Grab verborgen.«
»Aber das macht dich dann doch auch zu einer Toten.«
Sie sah frustriert, gereizt und dennoch bitterernst aus. »Jetzt hör mir doch mal zu, verdammt! Wir sind beide hier und leben jetzt, weil wir zwanzig Jahre in der Zeit zurückgegangen sind. Weil wir vor dem Zeitpunkt der Morde hier sind. Und sollte sich die Geschichte wiederholen, dann wird Michael - oder vielmehr du als Junge - heute Nacht ermordet.«
»Und was widerfährt dann Sean, dem Mann? Lass mich raten. Mir wachsen Engelsflügel, und ich fliege weg?«
Danni schluckte und senkte ihren Blick. »Ich kann nur raten«, erwiderte sie, und das Zittern in ihrer Stimme räumte seine letzten Zweifel aus. Denn so verrückt es sich auch anhörte, was sie sagte, war es von ihr doch völlig ernst gemeint und tat ihr weh. »Aber ich denke, dass der Mann auch zu existieren aufhört, wenn der Junge getötet wird.«
Seans Lachen klang so unecht und erzwungen, dass selbst der kleine Hund den Kopf von seinen Pfoten hob und ihm einen argwöhnischen Blick zuwarf.
»Du wirst nie die Möglichkeit haben, wie andere Jungen aufzuwachsen, Sean. Nicht wirklich. Du wirst deine Zeit damit verbringen, durch dieses Dorf zu wandeln, ohne jemals wahrgenommen zu werden. Ohne je gesehen zu werden. Denn so war es doch, oder nicht?«
Sean schloss für einen Moment die Augen und dachte an die Leere seines Lebens, an die gehaltlosen, nomadenhaften Tage und die Sinnlosigkeit seines Daseins. Dennoch versuchte ein verzweifelter Mann in ihm noch immer so zu tun, als stimmte all das nicht. »Und wer ist dann zu dir nach Arizona gekommen? Kannst du mir das sagen? Und wenn du ebenfalls ermordet wirst, warum hörst du dann nicht auch zu existieren auf?«
»Weil ich als Kind noch lebe. Verstehst du das denn nicht? In meinem Fall existiert die Frau noch nicht, die sterben wird ... Dáirinn muss erst noch aufwachsen und zu Danni werden. Was dich angeht, so stirbt jedoch das Kind, bevor es zu einem Mann werden kann ...«
Sean starrte sie an, und zu seiner großen Bestürzung begann er nun tatsächlich zu verstehen. Es war Wahnsinn, völlig irre - und war es dennoch nicht die Antwort auf so viele Fragen? Wie viele Male, seit er mit Danni hierhergekommen war, war er überwältigt gewesen von der Greifbarkeit, der Klarheit und der Freude seiner Erfahrungen! Wie oft hatte er sich einfach nur an dem Gefühl der feuchten irischen Luft an seiner Haut erfreut, an dem singenden Tonfall seiner Stimme oder dem Duft dieser Frau, der ihn stets mit einem warmen Glücksgefühl erfüllte!
»Wie bist du nach Arizona gekommen, Sean?«, wiederholte Danni.
Sean versuchte, eine Antwort zu vermeiden, die Frage zu umgehen und sie zu ignorieren, wie er es beim ersten Mal getan hatte. Aber da war etwas, das er einfach nicht mehr übersehen konnte - ein riesiges schwarzes Fragezeichen vor dem weißen Hintergrund seiner Erinnerung.
»Ich weiß es nicht.«
Seine Antwort verdüsterte das silbrige Grau ihrer Augen zu dem weitaus dunkleren einer sturmgepeitschten See. Ein verzerrtes Bild seiner selbst spiegelte sich in ihren dunklen Tiefen, doch Sean mochte gar nicht hinsehen, weil er sich seine Illusionen bewahren wollte. Nur war es dazu leider schon zu spät.
All diese Jahre, all diese Zeit, in der er geglaubt hatte, ein ganz normales Leben zu führen, aber nie wirklich die Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung um ihn herum hatte nachvollziehen können ... Wie oft hatte er sich ignoriert, zurückgewiesen und brüskiert gefühlt? Er war unsichtbar gewesen, nur seine Großmutter hatte ihn sehen können. Und das Schlimmste war, dass er es nicht einmal gewusst hatte.
Sean spürte, wie alle Kraft aus seinen Knien wich, und taumelte zurück, um sich aufs Bett fallen zu
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