Der lockende Ruf der grünen Insel: Roman (German Edition)

gefunden wurde. Im Tal, bei den Ruinen.«
    Sean erhob sich plötzlich und blieb in seiner ganzen nackten Schönheit vor ihr stehen, mit gequälter Miene und ganz ungewöhnlich still. Er erinnerte sich, das spürte Danni, und sie konnte es auch an den schnell wechselnden Emotionen auf seinem Gesicht sehen.
    »Du warst jedoch nicht allein«, fuhr sie mit belegter Stimme fort. »Der Leichnam einer nicht identifizierten Frau lag neben dir in diesem Grab.«
    Er starrte sie an, und Wellen der Verärgerung über seine eigene Verwirrung schienen von jedem angespannten Muskel seines durchtrainierten Körpers auszugehen.
    »Diese unbekannte Frau ... war ich.«

35. Kapitel
    S ean wünschte, Danni würde lächeln, lachen, ihm sagen, dass sie scherzte. Aber das tat sie natürlich nicht, sondern stand nur schrecklich niedergedrückt und elend vor ihm und starrte ihn aus ihren großen grauen Augen an. Sean konzentrierte sich auf die silbernen und schieferfarbenen Facetten um ihre schwarzen Pupillen, um seine Gedanken nicht dem Kurs folgen zu lassen, den Danni vorgegeben hatte.
    In dem Artikel stand, du wärst in jener Nacht getötet worden ...
    »Was immer du gelesen hast, war falsch«, sagte er schließlich. »Was ja auch mehr als offensichtlich ist, nicht wahr?«
    Aber sosehr er sich auch bemühte, entschieden genug zu klingen, um sie zu überzeugen, hörte sie doch nicht auf, ihn anzustarren.
    Du warst jedoch nicht allein ...
    Als sie weitersprach, war ihre Stimme sanft und beruhigend, ihre Worte aber waren wie winzige Pfeile, die seine Haut durchstachen, ohne Blut zu ziehen. »Ich glaube nicht, dass es falsch war, was in dem Artikel stand. Der Verfasser schrieb, dass deine Leiche und die der unbekannten Frau die einzigen waren, die je gefunden wurden.«
    »Jetzt hör dir doch nur mal selber zu! Wenn ich mit vierzehn gestorben sein soll, dann erklär mir doch bitte, wie ich heute als erwachsener Mann hier sein kann?«
    »Das kann ich nicht, Sean.«
    »Genau.«
    »Aber ich habe auch keine Erklärung dafür, wieso du oder ich jetzt hier sind. Uns in einer zwanzig Jahre zurückliegenden Zeit zu befinden, liegt nicht mal im Bereich des Möglichen.«
    »Nicht für mich vielleicht«, sagte er, noch immer um einen leichten Ton bemüht. Denn wenn er das Ganze nicht ernst nahm, wie konnte sie es dann tun? »Doch du machst so was ja ständig.«
    »Nein, das tue ich keineswegs. Bis du in mein Leben getreten bist, hatte ich jahrelang keine Visionen mehr gehabt. Seit meiner Kindheit nicht mehr, um genau zu sein.«
    »Und mein Leben war auch vollkommen normal bis jetzt.«
    »War es das?«
    Es lag etwas Herausforderndes in ihrer Frage, das Sean einen scharfen Stich versetzte. Er hatte ihr gesagt, dass er sie liebte, und sie hatte das Gespräch zu diesem unschönen Hin und Her aus Anschuldigung und Verteidigung gemacht. Zu diesem lächerlichen Verhör, das anscheinend darauf abzielte, ihn an seiner eigenen Existenz zweifeln zu lassen.
    »Weißt du noch, wie du in den Antiquitätenladen kamst, um mich zu sehen?«, fragte sie.
    Sean, der dem plötzlichen Themenwechsel nicht ganz folgen konnte, starrte sie nur irritiert an. Was hatte diese Frage mit Tod und zwei Leichen zu tun?
    »An jenem Tag in Arizona«, fuhr sie in solch geduldigem Tonfall fort, als spräche sie mit einem geistig Behinderten, »redeten wir darüber, essen zu gehen, und da waren diese Kundinnen mit ihren Kindern, die uns mit großen Augen anstarrten, was wir sehr komisch fanden. Aber das war es gar nicht. Sie starrten uns an, weil ich allein war, Sean, und Selbstgespräche führte - oder zumindest sah es für sie so aus, als wärst du gar nicht da.«
    »Ist dir eigentlich klar, was für einen Unsinn du da redest, Danni? Ein paar Frauen schauen dich komisch an, und du machst daraus gleich ...«
    »Es ist mehr als das, und das weißt du«, unterbrach sie ihn. »Sie haben dich nicht gehört und nicht gesehen, Sean.«
    »Dann bin ich jetzt also unsichtbar?«
    »Nein, verdammt! Du bist nicht unsichtbar, Sean, sondern tot. Tot! «
    Die Worte stießen auf ihn herab wie Blitze, die ihm die Luft aus den Lungen trieben und ihn, keuchend, hustend und nach Atem ringend, einen Schritt zurücktaumeln ließen. Und dabei hätte er darüber lachen müssen, da Danni offensichtlich nicht mehr ganz bei Trost war. Sah er etwa tot aus? Aber das Gefühl, buchstäblich von innen heraus ausgehöhlt zu werden, erlaubte ihm kein Lachen.
    »Du hast wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank, Süße«,