Der lockende Ruf der grünen Insel: Roman (German Edition)
sie mich?«, fragte Danni.
Sean zuckte mit den Schultern. »Das kann ich nicht wissen, oder? Sie ist es, die sieht.«
»Aber sie wusste, dass ich noch lebte?«
Er nickte stumm.
»Warum hat sie das niemandem gesagt?«
Wer würde ihr schon glauben?, wollte er erwidern, doch bevor er dazu kam, wandte Danni das Gesicht ab, und Sean wusste, dass sie sich das auch ohne eine Erklärung von ihm schon gedacht hatte. Er hatte noch nie mit jemandem über die Gabe seiner Großmutter gesprochen, und natürlich hatte er Fragen erwartet, die Danni ihm jedoch nicht stellte. Es war, als wüsste sie genau, wovon er sprach.
Dadurch ein bisschen irritiert, sagte er: »Nun ja, sie hat schon Leuten gegenüber erwähnt, dass sie glaube, du lebtest noch. Aber sie wusste nie, wo du warst oder wie du überlebt hattest. Und niemand nahm ihr ab, dass sie die Wahrheit sagte. Sicher gab es natürlich auch einige, die ihr glaubten, doch Jahre vergingen, ohne dass du gefunden wurdest.«
»Hast du ihr geglaubt?«
»Ja, das habe ich.«
Dannis Gesicht war wie eine Porzellanmaske, schön und unbewegt, die nichts von ihren Gedanken offenbarte. Aber Sean hatte den Eindruck, dass hinter dieser Maske Emotionen tobten, Gefühle, die nicht in Verwirrung, sondern Wissen und Verständnis ihren Ursprung hatten. Sie verstand. So seltsam und verblüffend das auch war, Danni wusste ganz genau, wovon er sprach.
»Du weißt, wovon ich rede, nicht?«
Sie warf ihm einen kühlen Blick zu. »Ich habe keine Ahnung.«
Aber das war ebenso sicher eine Lüge wie die, die er ihr aufgetischt hatte.
»Sag mir was«, verlangte sie. »Sieht sie auch dich?«
Das war eine nüchterne, aber in solch scharfem Ton gestellte Frage, dass Sean zuerst nicht wusste, was er darauf erwidern sollte. Was zum Teufel meinte sie damit, ob seine Großmutter auch ihn sah? »Warum sollte sie mich nicht sehen? Sie ist nicht blind. Nur alt.«
Danni schien das mit der gleichen kühlen Sachlichkeit zu überdenken, die ihn nicht einmal erahnen ließ, was in ihrem Kopf vorging.
»Du trinkst dein Wasser nicht«, bemerkte sie und deutete mit einer Kopfbewegung auf die unberührte Flasche neben ihm.
Wieder nahm er etwas in ihrer Stimme wahr, das ihn verwirrte. War es so wichtig für sie, dass er seinen Durst löschte? Er kam sich wie eine fehlgeleitete Marionette mit hoffnungslos verwirrten Fäden vor. Und trotzdem versuchte sie noch immer, sie zu ziehen. Mit finsterer Miene sah er seine Wasserflasche an, ohne sie jedoch in die Hand zu nehmen. »Ich bin nicht durstig«, erklärte er.
»Nein?«, antwortete sie. »Natürlich bist du das nicht.«
Bevor er auch nur erraten konnte, was sie damit meinte, wechselte sie das Thema und gab ihm keine Chance, sich von seiner Verwirrung zu erholen. »Mein Vater weiß nicht, dass du mich hier suchst, nicht wahr?«
»Nein. Er weiß nicht einmal, dass ich verreist bin.« Er weiß ja nicht mal, dass ich existiere, fügte er im Stillen hinzu und dachte an den kalten, ablehnenden Blick in Cáthan MacGrath' Augen, wann immer er Sean sah. Die gleiche Kälte, die er nun auch in den Augen seiner Tochter bemerkte.
Danni hob ihre Flasche wieder an die Lippen und leerte sie, bevor sie sie beiseitestellte. Eine knisternde Spannung schien den Raum zu durchlaufen, während sie Sean nachdenklich betrachtete. »Was willst du von mir?«
Das könnte er ihr aufrichtig genug beantworten. Aber was er jetzt, in diesem Moment, wollte, war so heiß und erotisch, dass sie mit Sicherheit verärgert reagieren würde, falls er es ihr sagte.
»Ich will dich nach Hause bringen. Denn dort gehörst du hin.«
»Wenn das alles ist, warum hast du dann gelogen?«
»Warum ich gelogen habe?«, wiederholte er ungläubig. »Hätte ich dir vielleicht die Wahrheit sagen sollen? Hättest du mir die Tür geöffnet, wenn ich damit angefangen hätte?«
»Damit angefangen? Ich habe bis jetzt noch kein einziges Wort davon gehört. Was ist wirklich mit meiner Familie passiert?«
Er gab einen Laut von sich, der sowohl Schmerz als auch Ironie in sich verband. »Ich schwöre dir, was das angeht, war ich ganz ehrlich. Niemand kennt die Wahrheit außer denen, die sie selbst erlebt haben. Du hättest eine bessere Chance, mehr zu erfahren, wenn du dich selber fragen würdest.«
»Aber du warst dort. Das warst du doch?«
Er runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »In Ballyfionúir ja. Aber ich war nicht bei meinem Vater in jener Nacht.«
»Und wo warst du dann?«
Die Frage war scharf wie die
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