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Der Lockvogel

Der Lockvogel

Titel: Der Lockvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Morgan Jones
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Kathedralen passte. Die Bürogebäude orientierten sich nach Nordwesten, die Gotteshäuser nach Südosten. Zusammen gaben sie ihm eine Ahnung von der sentimentalen Größe Russlands. Gegen jede Erwartung war er bewegt. Er sah so viel Schönheit hier. Wie leicht es
sein musste, von einem solchen Ort aus ohne Angst vor den Folgen zu regieren, dachte er.
    Er blieb etwas länger als eine Stunde dort, dann wurde er müde. Gerne hätte er mit seinem Begleiter über seine Gedanken gesprochen, verkniff sich das jedoch. Er hatte Hunger, aber er wollte nicht allein essen. Er wollte Oksana sehen. Genauer gesagt, er musste Oksana sehen: Er brauchte jemanden, der ihn in Tschechanows Büro anrufen würde, und außer ihr kannte er in Moskau niemanden, dem er vertrauen konnte. Als er wieder auf dem Roten Platz stand, nahm er sein Handy und rief ihre Nummer an, zum ersten Mal seit sie ihn im Café Puschkin verlassen hatte. Während er wählte, ertönte das gleiche elektronische Störgeräusch, das er schon einmal zuvor in London gehört hatte. Eine neue Woge der Unruhe überlief ihn, weil er nun vermutete, dass seine Telefonate mitgeschnitten wurden. Natürlich wurden sie das. Nur undeutlich hörte er den Beginn von Oksanas Voicemail-Ansage, als er auflegte.
    Seine Stimmung, die er so sorgfältig aufgebaut hatte, brach völlig zusammen. Wer kontrollierte seine Anrufe? Wahrscheinlich Malin. Vielleicht Ikertu. Konnten zwei Gruppen dasselbe Telefon anzapfen? Er hatte keine Ahnung. Es machte auch keinen Unterschied. Er hatte ohnehin niemanden, mit dem er reden konnte. Er steckte sein Handy in die Tasche, drehte sich zu seinem Leibwächter um und sagte ihm, dass er nach Hause gehen wollte.
    Am Dienstagmorgen war er schon gegen acht im Büro. Dort erwartete ihn eine E-Mail von Kesler, abgeschickt nach Moskauer Zeit um kurz nach zehn am Vorabend. Lock dachte, es würde um New York gehen, den nächsten Punkt auf ihrer juristischen Agenda. Stattdessen las er, dass die
Abteilung für Wirtschaftsverbrechen des Royal Cayman Islands Police Service mit ihm über »Unregelmäßigkeiten in den Besitzverhältnissen« bestimmter von ihm kontrollierter Unternehmen reden wollte. Wenn er in der folgenden Woche Zeit für ein Treffen hätte, würde ihnen das ausgezeichnet passen. Kesler fügte erklärend hinzu, dass er natürlich nur fliegen würde, wenn man ihm zeitweilige Immunität garantierte.
    Das war die erste offizielle Untersuchung. Zeitungen und Prozesse und Andeutungen von Schweizer Staatsanwälten waren eine Sache. Dies hier bedeutete jedoch etwas anderes. Kesler war diese Woche in den USA. Lock konnte ihn erst am Nachmittag anrufen. Er wollte wissen, wie ernst diese Sache war. Und er wollte wissen, ob man ihm erlauben würde hinzufliegen. Er vermutete, wenn er schon davon wusste, würde er auch fliegen. Er würde es am Abend herausfinden, beim Treffen mit Malin.
    Zunächst musste er noch einiges vorbereiten. Selbst wenn man ihn auf den Cayman Islands nicht verhaften durfte, wollte er doch darauf vorbereitet sein zu verhandeln. Er wollte etwas in der Hand haben, das er ihnen anbieten konnte, und das hieß, dass er seinen Plan an diesem Abend in die Tat umsetzen musste. Vielleicht würde er keine weitere Chance erhalten.
    Mit dem Schloss hatte er gute Fortschritte gemacht. Er war schließlich auf den Dreh gekommen, dass er zwei Nadeln brauchte und nicht eine. Da er keine zweite Haarklammer finden konnte, bastelte er sich etwas, das fast die gleiche Dicke hatte, indem er zwei Büroklammern eng zusammendrehte. Inzwischen schaffte er es in rund dreißig Sekunden, seinen eigenen Aktenschrank zu öffnen. Er konnte
nur hoffen, dass Tschechanow sehr ähnliche Schlösser hatte.
    Oksana würde ihm nicht helfen. Er hatte sie am Sonntagmorgen noch einmal angerufen, aber sie war wieder nicht drangegangen. Er hatte den Verdacht, dass sie zu seinem eigenen Besten nicht mit ihm redete. Auf jeden Fall war ihm eine Möglichkeit eingefallen, wie man das praktische Problem umgehen konnte. Eines seiner Handys hatte eine Stoppuhr mit Countdown-Funktion. Man konnte den Signalton so auswählen, dass es nach dem Ablaufen des Countdowns klingelte, als wäre es ein Telefonanruf. Er würde vor seinem Meeting den Countdown auf fünfzehn Sekunden einstellen und ihn dann zum richtigen Zeitpunkt in seiner Tasche aktivieren. Das hatte er geübt, bis es klappte: zweimal Down-Taste, einmal rechts, einmal Down, Mitteltaste.
    Sein Tag verlief weder produktiv noch schnell. Im

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