Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)
Vertrauensmann und zugleich ein Verräter?»
«Rytkönen ist nicht der ursprüngliche Kass. Der erste Kass war ein estnischer Polizist namens Jaan Rand.»
«Jaan Rand? Aber das ist doch Bruder Gianni, ein Mönch im Kloster Sant’Antimo! Ich habe ihn dort getroffen. Er hat mir erzählt, er wäre in Tartu mit David zur Schule gegangen.»
«Sie waren Klassenkameraden, aber Rand war auch Polizist, Stahls Kollege bei Europol. Nur ist dann diese hässliche Sache passiert. Aber deshalb hätte er nicht gleich ins Kloster gehen müssen.»
«Was für eine hässliche Sache?»
Laitio wirkte gequält. «Wir alle haben unsere Schwächen. Rands Schwäche sind sehr junge Frauen.»
«Wie jung?»
«Zu jung. Ich weiß es nicht genau, zwölf, dreizehn, nehme ich an.» Laitio zündete sich eine Zigarre an. «Eine ekelhafte Geschichte.»
«Ich habe garantiert schon schlimmere gehört.»
Laitio rauchte ein paar Züge, bevor er berichtete, Rand habe nicht nur einen estnisch-russischen Kinderprostitutionsring gedeckt, sondern dessen Dienste auch selbst in Anspruch genommen. Als das Geschäft aufflog, half er seinen Kollegen, die Hauptverantwortlichen zu überführen, was ihm als mildernder Umstand angerechnet wurde. Rand war mit einer Bewährungsstrafe davongekommen, musste aber natürlich aus dem Polizeidienst ausscheiden.
«Daraufhin entwickelte Rand massive Schuldgefühle. Er konvertierte zum Katholizismus und ging als Mönch nach Italien. Stahl bestand aber darauf, dass sein Jugendfreund weiterhin sein Kontaktmann blieb. Er akzeptierte keinen anderen. Aus irgendeinem Grund gab man seiner Forderung nach, zumindest anfangs.»
Ich erinnerte mich an Bruder Giannis blonde Locken und an seinen asketisch mageren Körper. Seine Kutte war makellos weiß gewesen wie ein Brautkleid. David hatte mich zu ihm geschickt. Da ich eine erwachsene Frau war, stellte Bruder Gianni für mich wohl keine sexuelle Bedrohung dar. Ich malte mir aus, wie er im Schatten in der Klosterkirche lauerte und kleine Mädchen anstarrte, die vor den Heiligenbildern niederknieten. Aber was hatte Eva Stahl mir am Telefon gesagt? Man hat Jaan Rand übel mitgespielt. Glaubte sie etwa an Rands Unschuld? Hatte David seiner Mutter etwas verraten, wovon selbst Laitio nichts wusste, oder hatte er nur versucht, sie vor der brutalen Wahrheit zu schützen, dass der beste Freund ihres Sohnes ein Sexualverbrecher war?
«Rytkönen hat die hohen Tiere wohl zu guter Letzt davon überzeugt, dass Rand nicht zu trauen ist, weil man ihn mit Lolitas in Versuchung führen kann. Stahl wurde in Rytkönens Zuständigkeit übertragen.»
«Rytkönen glaubt also, alles über Stahl zu wissen?»
«Vermutlich.»
«Aber das stimmt nicht. Er weiß zum Beispiel nicht, dass Stahl niemals den Decknamen Bengt Näkkäläjärvi verwendet hat. Trotzdem glaubt er so fest daran, dass er ihn sogar im Intranet der Zentralkripo vermerkte. Entschuldige, Teppo, du hast deinen Usernamen und dein Passwort einmal sichtbar gelassen, als du in deiner Wohnung nachgesehen hast, was Koch anstellt. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen.»
Statt mir, wie ich erwartete, eine neuerliche Strafpredigt zu halten, brach Laitio in schallendes Gelächter aus. Sein Gesicht bekam endlich ein wenig Farbe, und auch die Schnurrbartenden schienen sich zu heben.
«Ach, Hilja! Für wie dumm hältst du mich? Ich kenne dich doch. Du stürzt dich auf die Beute, sobald du Gelegenheit hast.»
«Du hast mir die Zugangsdaten also absichtlich überlassen?»
Laitio kicherte leise. «Na klar! Ich kenne dich mindestens so gut wie Stahl. Aber wenn du es irgendwem weitersagst, streite ich es natürlich ab.»
«Wem sollte ich es denn weitersagen? Etwa Rytkönen? Ich habe nicht vor, ihn auf meinen Verteiler zu setzen.»
«Wer hat ihm diesen Bengt Näkkäläjärvi eigentlich untergejubelt? Du? Was für ein verrückter Name.»
«Ein samischer Name. Ich dachte, daran könnten sich die Europol-Bullen die Zunge zerbrechen. Das heißt, eigentlich war der Gedanke nicht von mir … sondern von Reiska.»
Die erwartete Strafpredigt kam nun doch, nachdem ich Laitio von Reiskas Treffen mit Rytkönen erzählt hatte. Wahrscheinlich wäre sie nicht schlimmer ausgefallen, wenn ich im selben Aufwasch auch mein Liebesabenteuer mit Trankow gebeichtet hätte. Laitio schien mehr Schimpfwörter zu kennen als Kapitän Haddock. Ich hörte mir sein Gebrüll demütig an, ich wusste ja selbst, dass ich verrückt war.
«Und ich hatte gehofft, du liebst Stahl
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