Der Löwe
falls ich den gesuchten libyschen Terroristen fasste oder umbrachte. Ich fragte mich allerdings, ob er auch aufkreuzen würde, wenn ich kaltgemacht wurde und Khalil davonkam. – Keine Fotos bitte. – Auf jeden Fall hätte ich ihm, wenn ich ihn gesehen hätte, von Boris erzählt. Es sei denn, es würde mir just in dem Moment entfallen.
Um acht Uhr abends traf ich mich mit Paresi und Stark, und wir gingen die Operation in allen Einzelheiten durch. Um neun verließ ich die Federal Plaza 26. Ich war fast genauso gekleidet wie in der Nacht zuvor, nur dass ich diesmal eine Yankees-Kappe aufhatte. Falls ich also auf Khalil stoßen sollte, konnte er »Stirb, Yankee!« schreien.
Ich machte einen kurzen Spaziergang zur Baustelle am Trade
Center und stellte fest, dass das Tor am Eingang zur Aussichtsplattform verschlossen und die Umgebung – die verwüstet worden war, als die Türme einstürzten – um diese Uhrzeit menschenleer war. Ich lief einmal um die Baustelle herum, die auf jeder Seite etwa fünfhundert Meter maß, blieb ein paarmal stehen und schaute in die riesige Grube, die teilweise von Strahlern erleuchtet wurde. Am Boden des tiefen Lochs waren Baumaschinen und haufenweise Baumaterial. Die Trümmer waren praktisch beseitigt, aber hin und wieder tauchten immer noch menschliche Überreste auf. Mistkerle.
An der an die Liberty Street angrenzenden Seite der großen Grube befand sich eine lange Erdrampe, die zur Baustelle hinabführte. Die Rampe war durch ein verschlossenes, zweiflügeliges Maschendrahttor versperrt. Auf der anderen Seite des Tors sah ich einen Wohnwagen, der als gemütliches Wachhäuschen für die Port Authority Police diente, die an diesem einzigen Zugang zur Baustelle postiert war. In der Nähe des Tors stand ein Fahrzeug der Port Authority Police, das von den PA-Cops im Wohnwagen benutzt wurde.
Nun ja, ich rechnete nicht damit, Asad Khalil in der Nähe des Wachpostens zu sehen, deshalb begab ich mich zur West Street, die zwischen der Baustelle des World Trade Center und den Gebäuden des World Financial Center verläuft, die beim Einsturz der Zwillingstürme so schwer beschädigt worden waren, dass das ganze Areal mit Sicherheitszäunen abgesperrt werden musste. Hier sah es aus wie in einem Kriegsgebiet – was es genau genommen auch war.
Auf der anderen Seite der Baugrube sah ich die erleuchtete Aussichtsplattform, und mir kam der Gedanke, dass sich Asad Khalil diese Touristenattraktion vermutlich nicht entgehen ließ, während er in New York war. Ich stellte mir vor, wie er dort stand, in den Abgrund blickte und versuchte, sein Lächeln vor den Menschen um ihn herum zu verbergen.
Starks Stimme drang aus meinem Kopfhörer: »Sie sind allein.«
»Verstanden.«
Ich lief zum Battery Park hinunter, der etwa eine halbe Meile südlich von Ground Zero lag. Der Battery Park ist nachts ruhig, aber nicht trostlos. Hier begegnet man Romantikern, die dasitzen und das Wasser betrachten, auf die Freiheitsstatue blicken oder mit der Fähre nachStaten Island fahren.Hier kann man für wenig Geld seine Freundin ausführen. Habe ich auch schon gemacht.
Es war ein schöner Abend, deshalb waren ein paar Leute im Park, darunter auch die beiden Angehörigen des Überwachungsteams, die ich schon im Central Park gesehen hatte und die heute wieder auf einer Bank saßen und Händchen hielten. Ich konnte nur hoffen, dass sie sich wenigstens mochten.
»Das sieht nicht vielversprechend aus«, sagte ich in mein Mikro.
»Vielleicht ist es noch zu früh«, erwiderte Stark. »Laufen wir noch ein bisschen durch dunkle, ruhige Straßen. Später kommen wir dann wieder hierher.«
Mir gefiel die Art und Weise, wie er den Plural gebrauchte, so als liefe er mit. Nein, ich lief, dazu das halbe Überwachungsteam, während die andere Hälfte in Zivilfahrzeugen saß. Das SEK-Team wurde zu diversen Orten befördert, wo es meistens in seinem zivilen Kleinbus blieb, damit es niemanden erschreckte.
Während ich durch die ruhigen Straßen des Financial District lief, rief ich Kate an, um sie zu beruhigen. Sie meldete sich und sagte: »Ich habe auf deinen Anruf gewartet. Wo bist du?«
»Ich steige gerade über betrunkene Börsenmakler.«
»Sei vorsichtig, John.«
»Ich liebe dich.«
Mit jemandem verheiratet zu sein, der im selben Gewerbe ist, hat seine Vorteile. Man macht sich Sorgen, weiß aber wenigstens, warum. Und je weniger gesagt wird, desto besser ist es.
Ich lief weiter durch die nahezu menschenleeren Straßen von
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