Der Löwe
Gott … Ich spürte, wie mich die Wut packte, wusste aber auch, dass ich mich beherrschen musste.
Er sagte zu mir: »Ich weiß, dass Sie allein sind, und Sie sollen wissen, dass auch ich allein bin.« Und fügte unnötigerweise hinzu: »Es sind nur wir zwei. So wie Sie es verlangt haben und wie es sein sollte.«
Ich nickte.
Er nickte ebenfalls. »Sie habe ich mir bis zum Schluss aufgehoben, Mr Corey.«
»Dich habe ich für mich aufgehoben«, erwiderte ich.
Er lächelte, aber es war kein angenehmes Lächeln. »Ich habe keine kugelsichere Weste gespürt, als ich Sie zu Boden gestoßen habe«, sagte er.
Ich erwiderte nichts.
»Spielt keine Rolle. Ich werde Ihnen nicht ins Herz schießen.« Er hob seine Knarre und sagte: »Das ist die Waffe Ihrer toten Frau. Ich freue mich schon darauf, Ihnen damit Ihre Männlichkeit wegzuschießen.«
Er hatte noch ein paar andere Sachen zu sagen, bevor er das tat, und ich dachte über ein paar Aktionen nach, die ich versuchen könnte, aber nichts davon kam mir vielversprechend vor. Ohne den Kopf zu bewegen, blickte ich mich in der näheren Umgebung um. Meine Knarre war zu weit weg, und weit und breit war nichts, das ich verwenden könnte. Ich suchte rasch die Mauern des Fundaments in der Ferne ab. Die Aussichtsplattform war geschlossen, und selbst wenn jemand auf der Straße vorbeilaufen sollte, konnte er nicht so weit in die dunkle Grube blicken.
»Schauen Sie mich an«, sagte Khalil. »Hier ist niemand, der Ihnen helfen kann. Sie sind alle tot. Die beiden Polizisten aus dem gemütlichen Wohnwagen sind tot. Und wie Sie sehen, ist Ihr Vorgesetzter zwar in der Nähe, aber er kann Ihnen nicht helfen. « Er hielt ein Handy hoch und sagte: »Seine letzte Nachricht an Sie lautet folgendermaßen – Asad Khalil hat gewonnen.«
Wieder packte mich die Wut – dieser psychotische Scheißkerl, dieser kaltblütige, mörderische –
»Kam Ihnen nicht der Gedanke, Mr Corey, dass hier etwas anders war, als es den Anschein hatte?«
Ich schaute ihn an und dachte darüber nach. Der Gedanke war mir gekommen, aber tief in meinem Hinterstübchen … so
tief, dass ich mich nicht darum geschert hatte … für mich spielte es keine Rolle, ob es Paresi oder Khalil war.
»Ich habe von diesem Moment geträumt«, sagte er zu mir. »Sie auch?«
Ich nickte.
Er schaute mich an und sagte: »Es war uns vom Schicksal bestimmt, dass wir uns begegnen, aber oft muss man dem Schicksal auf die Sprünge helfen.« Er lächelte erneut und sagte: »Wir beide haben dem Schicksal heute Nacht auf die Sprünge geholfen, und mir ist es vom Schicksal bestimmt, Mr Corey, dass ich Ihnen das Gesicht abschneide.«
Ich nahm an, dass er dazu sein eigenes Messer mitgebracht hatte, deshalb sagte ich zu ihm: »Versuch’s. Leg die Knarre hin und versuch’s, du Arschloch.«
Ohne auf meine Einladung einzugehen, blickte er sich um. »Hier wären wir, wo dreitausend Ihrer Landsleute gestorben sind«, sagte er.
»In den Türmen sind auch Hunderte von Muslimen gestorben«, erinnerte ich ihn.
Ohne darauf einzugehen, sagte er: »Das hier ist, glaube ich, für Sie ein guter Ort zum Sterben. Habe ich eine gute Wahl getroffen? «
Ich erwiderte nichts, fragte mich aber, ob er irgendwie wusste, dass Kate und ich am 11. September 2001 hier um Haaresbreite dem Tod entgangen waren. Aber ich war seinerzeit nicht hier gestorben, und ich würde auch heute nicht hier sterben.
»Ich werde Sie nicht töten, es sei denn, Sie zwingen mich dazu«, sagte er. »Allerdings werde ich Ihnen in den Unterleib schießen und Ihnen danach das Gesicht abschneiden, so wie ich es versprochen habe.«
Ich ging nicht darauf ein.
Er griff nach hinten und brachte ein langes, breites Messer zum Vorschein. »Ich werde das hier benutzen«, sagte er, »und
Sie werden spüren und sehen, wie Ihnen das Gesicht vom Schädel abgezogen wird.«
Er war jetzt am Verhöhnen, was bei den meisten Lustmördern zum üblichen Ritual gehört. Und sie steigern sich dabei so tief in ihre Phantasien hinein, dass sie jede Vorsicht vergessen.
Khalil jedoch war ein bestens ausgebildeter Killer, und er fragte mich: »Haben Sie eine weitere Schusswaffe?«
Nun ja, ich hatte eine, aber die hatte ich Kate geliehen. Ich antwortete nicht.
Er schaute mich an, dann sagte er: »Ich habe keine gespürt, aber …« Er steckte sein Messer wieder in den Gürtel, und dann überraschte er mich – vielleicht aber auch nicht –, denn er steckte seine Knarre – Kates Knarre – rechts
Weitere Kostenlose Bücher