Der Löwe
Absetzer die zweiminütige Vorwarnung, worauf die letzte Gruppe, lauter Solospringer und kleine Gruppen, einschließlich meiner Wenigkeit, aufstand.
Der Absetzer schaute uns an und hielt einen Finger hoch, und ich war froh, dass es nicht der Mittelfinger war.
Vor uns standen etwa zehn Leute in Reih und Glied, um ihre Zwei- und Drei-Personen-Sprünge zu machen, und hinter uns waren vier Mann, die Solosprünge machen wollten. Wir setzten alle unsere Sprungbrillen auf oder klappten die Visiere herunter und überprüften ein letztes Mal die Ausrüstung.
Mittlerweile waren die beiden großen Springergruppen am Boden, holten ihre Schirme ein, klatschten sich ab oder umarmten sich und stiegen in die Busse, die sie für den Sprung Nummer zwei zum Flughafen zurückbringen sollten. Ich hatte einen Moment lang Mitgefühl, was selten vorkommt, als ich bereitstand, um meinen Clubkameraden in die Leere zu folgen, und hoffte aufrichtig, dass sie den Formationsrekord aufgestellt
hatten, an dem sie sich versuchen wollten, und dass alle sicher gelandet waren. Selbst Craig. Hörst du das, Craig?
»Fertig!«, rief der Absetzer. Dann rief er: »Los!«
Die Fallschirmspringer vor mir stiegen in ihren abgesprochenen Zweier- und Dreiergruppen in kurzem Abstand nacheinander aus.
Das Pärchen, das neben uns auf der rechten Seite von Reihe zwei gesessen hatte, war jetzt vor mir, und Kate und sollte als Nächstes springen. Ich schob mich näher zur Frachtluke, spürte den wirbelnden Wind und sah das grün-braune Feld drei Meilen weiter unten. Was wäre, wenn mir schwindlig wurde und ich aus der Maschine fiel?
Das Pärchen vor uns hielt Händchen, trat gleichzeitig einen Schritt vor und hechtete dann buchstäblich aus dem Flugzeug – wie ein Liebespaar, dachte ich, das in sein … nun ja, in einen Swimmingpool springt.
Ich tastete mich zu der Luke und sah ein paar Leute im freien Fall, was ein sehr seltsamer Anblick ist. Außerdem sah ich ein paar leuchtend bunte Fallschirme aufgehen, und mit einem Mal wollte ich springen – wie ein herabstürzender Adler durch den Himmel fliegen und dann sachte zur Erde hinabsegeln.
Ich war bereit, mich hinauszustürzen, spürte aber eine Hand auf meiner Schulter, worauf ich mich umdrehte und sah, wie Kate mir zulächelte. Ich lächelte zurück.
Mir fiel auf, dass der Solospringer hinter Kate sie mehr bedrängte, als er es eigentlich sollte. Er musste sie erst aus dem Flugzeug lassen, bevor er sprang. Vielleicht war er nervös.
Der Absetzer sagte irgendetwas, und mir wurde klar, dass ich den ganzen Laden aufhielt. Ich wandte mich wieder der Frachtluke zu, und ohne allzu groß darüber nachzudenken, was ich vorhatte – und ohne »Geronimo« zu brüllen –, hechtete ich kopfüber hinaus und ließ den festen Boden des Flugzeugs hinter mir. Und da war ich und fiel durch den Himmel.
Aber im Geist war ich noch im Flugzeug und hatte zwei kurze Gedanken: erstens, Kate hatte irgendetwas gebrüllt, als ich aus der Maschine sprang; zweitens, der Typ hinter ihr war der gleiche, der mir vorher schon aufgefallen war, weil er einen schwarzen Overall trug und ein getöntes Helmvisier hatte. Er hatte vor uns gesessen, folglich hätte er vor uns springen sollen. Warum war er dann hinter uns?
10
T rotz des Helms, der meine Ohren bedeckte, klang das Tosen des Windes, als ob mir ein Güterzug durch den Kopf fahren würde. Ich bog meinen Körper leicht durch und streckte dann Arme und Beine aus, worauf der Luftstrom meinen Fall stabilisierte. Ich fiel jetzt mit etwa hundertachtzig Stundenkilometern, was bei dieser Körperhaltung die Höchstgeschwindigkeit war.
Natürlich rechnete ich damit, dass Kate, wie geplant, rechts von mir auftauchte, aber als ich sie nicht sah, drehte ich den Kopf nach rechts oben, aber auch da war sie nicht zu sehen. Durch diese Bewegung veränderte sich die Aerodynamik, die mich auf Kurs hielt, sodass ich aus der Richtung wegwirbelte, in die ich mich gehalten hatte. Rasch ging ich wieder in meine Position und breitete Arme und Beine aus. Allmählich stabilisierte ich mich wieder. Wo zum Teufel war Kate?
Als ich gerade einen weiteren Blick riskieren wollte, sah ich aus den Augenwinkeln, dass Kate zu mir aufschloss. Das hätte viel früher geschehen sollen, und sie hätte viel näher sein sollen, damit wir unsere Relativsprungübungen machen konnten. Ich hatte das Gefühl, dass sie ihren Absprung um ein, zwei Sekunden verzögert hatte. Aber warum?
Kate war etwa fünfzig Meter neben
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