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Der Löwe

Der Löwe

Titel: Der Löwe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson DeMille
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machte eine fahrige Bewegung mit der Hand, die aussah wie ein Zittern oder ein einsetzender Krampf. Ich griff zum Rufknopf, dann wurde mir klar, dass sie so tat, als schreibe sie mit einem Stift.
    Ich schnappte mir Stift und Block vom Nachttisch und drückte ihr den Stift in die rechte und den Block in die linke Hand.
    Sie hielt beides über ihr Gesicht und schrieb etwas, dann drehte sie den Block zu mir um. Wieso stellst du mir diese dämlichen Fragen , stand dort.
    Ich spürte, wie meine Augen feucht wurden, beugte mich vor und küsste sie auf die Wange.

VIERTER TEIL
Long Island und New York City

16
    A sad Khalil blickte über den Gang zu dem nach Westen weisenden Fenster des gecharterten Citation-Jets, als er zum Anflug auf den Republic Airport von Long Island ansetzte. In der Ferne, etwa sechzig Kilometer weiter weg, sah er die Skyline von Manhattan. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Der Flug vom Sullivan County Airport hierher hatte sechsundzwanzig Minuten gedauert.
    Von seinem Fenster auf der Steuerbordseite der Maschine aus konnte er einen weitläufigen Friedhof mit Tausenden weißer Kreuze und Grabsteine sehen, die in Reih und Glied auf den grünen Feldern standen. In Libyen brauchten die Toten kein so fruchtbares Land, denn der Koran verhieß, dass ihre Seelen in ein Paradies voller Wasserläufe und Obstbäume eingehen würden.
    Seine beiden Brüder, die zwei Schwestern und seine Mutter, die allesamt bei dem amerikanischen Bombenangriff umgekommen waren, hatte man in schlichten Gräbern am Rande der Wüste bestattet, neben seinem Vater, der fünf Jahre vorher von den Zionisten getötet worden war. Jetzt befanden sie sich mit Sicherheit alle im Paradies, weil jeder von ihnen den Märtyrertod durch die Ungläubigen gestorben war. Und ihm, Asad Khalil, war vom Großen Führer, Oberst al-Gaddafi, als einzigem Überlebenden einer Märtyrerfamilie ein besonderer Status verliehen worden. Und mit diesem Status war eine hohe Verantwortung verbunden: Rache.
    Die Stimme des Copiloten drang aus dem Lautsprecher: »Wir
landen in zwei Minuten, Mr Demetrios. Bitte schnallen Sie sich an und stellen Sie Ihre Sitzlehne aufrecht.«
    Als die Maschine zum Landeanflug ansetzte, dachte Asad Khalil kurz über seinen interessanten Fallschirmsprung nach. Zwei Gedanken gingen ihm durch den Kopf: erstens, dass er sich nicht absolut sicher sein konnte, die Frau getötet zu haben; zweitens, dass er die Gelegenheit hätte nutzen und den Mann namens Corey hätte erschießen sollen.
    Was die Frau anging – Coreys Frau –, die hatte seine Hand weggeschlagen, sodass er ihr die Kehle nicht ganz hatte durchschneiden können. Er war es nicht gewöhnt, dass Frauen körperliche Gewalt gegenüber einem Mann ausübten, und obwohl er wusste, dass so etwas vorkam, hatte es ihn überrascht. Dennoch hatte er ihr mit Sicherheit die Arterie durchtrennt, und sie war zweifellos verblutet, bevor sie am Boden auftraf.
    Was Corey anging, den hatte er seit jeher bis zum Schluss übriglassen wollen. Er sollte den Schmerz über den Tod seiner Frau so lange wie möglich erleiden müssen, dann würde er ihn in ein geistiges Kräftemessen verwickeln, das erst zu Ende gehen würde, wenn er, Khalil, Coreys Gesicht und dessen Genitalien verstümmelt hätte, was schlimmer als der Tod wäre. Und dennoch … irgendetwas sagte ihm, dass er seinen Plan an Ort und Stelle hätte ändern und den Mann hätte erschießen sollen, als er am Fallschirm hing – und zwar mit der Pistole seiner Frau.
    Die Citation setzte auf und bremste auf der Landebahn ab.
    »Willkommen auf dem Republic Airport von Long Island«, sagte der Copilot an, der, soweit sich Khalil erinnerte, Jerry hieß.
    Warum, fragte sich Khalil, hießen ihn die Piloten immer an einem Ort willkommen, der weder für sie noch für ihn irgendeine Bedeutung hatte? Sie hatten das schon in Santa Barbara getan, als er seine Reise angetreten hatte, danach in Pueblo, Colorado, und in Huntington, West Virginia, wo sie zum Auftanken zwischengelandet waren. Und als er am Sullivan County Airport
gelandet war, hatte ihn der Copilot ebenfalls willkommen geheißen und außerdem gesagt: »Ich hoffe, Sie haben eine erfolgreiche geschäftliche Besprechung.«
    Worauf Khalil, der griechische Geschäftsmann, erwidert hatte: »Davon bin ich überzeugt.«
    Die Citation rollte jetzt zu einem Hangar des kleinen Privatflugplatzes. Khalil blickte aus dem Fenster und versuchte festzustellen, ob die Behörden irgendwie

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