Der Löwe
mich zu Kates Bett und sagte leise: »Erschrecken Sie nicht über ihr Aussehen, die Monitore und die Infusionsschläuche.« Und sie fügte hinzu: »Sie ist an ein Beatmungsgerät angeschlossen, damit ihr das Atmen leichter fällt. Dr. Goldberg ist ein wunderbarer Chirurg«, versicherte sie mir.
Aber niemand, Dr. Goldberg eingeschlossen, wusste, was in Kates Gehirn vor sich ging oder ob sich dort überhaupt etwas tat.
Wir kamen zu Kates Bett, und ich blieb neben meiner Frau stehen und schaute sie an. Sie hatte wieder etwas Farbe im Gesicht, und ihr Atem ging mit Hilfe des Geräts regelmäßig. Sie hatte einen dicken Verband am Hals, Schläuche in den Armen und war über Kabel, die unter der Zudecke herausragten, an drei Monitore angeschlossen. Ich blickte auf die Bildschirme, und alles schien normal zu sein, auch wenn der Blutdruck ein bisschen niedrig war.
Betty warf einen Blick auf die Monitore und versicherte mir: »Die Lebenszeichen sind gut.«
Ich holte tief Luft und starrte Kate an. Ich sah die Schwellung um den Mund, wo Khalil sie getroffen hatte. Mistkerl. Ich beugte mich vor und küsste sie auf die Wange. »Hi, meine Schöne.«
Keine Reaktion.
Betty forderte mich auf, mich auf einen Stuhl neben dem Bett zu setzen. »Drücken Sie auf den Rufknopf, wenn Sie irgendetwas brauchen«, sagte sie und erklärte mir: »Keine Handys.« Dann drehte sie sich um und ging.
Ich nahm Kates Hand, die kühl und trocken war, und ich
konnte ihren Puls spüren. Ich schaute weiter ihr Gesicht an, aber es blieb ausdruckslos. Ich verfolgte das Heben und Senken ihrer Brust und warf mehrmals einen Blick auf die Monitore.
Da ich selber schon mal beinahe verblutet wäre, wusste ich, was Kate in diesen Minuten durchgemacht hatte, als das Blut aus ihrem Körper geströmt war – den erschreckenden, rasenden Herzschlag, den fallenden Blutdruck, der ein scheußliches Klingeln in den Ohren auslöst, das Gefühl, innerlich eiskalt zu sein, wie man es noch nie erlebt hat … sich wie tot vorzukommen … und dann trübt sich das Bewusstsein.
Als ich im Columbia-Presbyterian Hospital zu mir gekommen war, hatte ich keine Ahnung, weshalb ich dort war, und konnte mich auch nicht erinnern, was mit mir geschehen war. Ich durfte nicht besucht werden, aber mein Partner Dom Fanelli verschaffte sich Zugang und verwickelte mich in ein langes, dämliches Gespräch darüber, warum die Mets besser waren als die Yankees. Offenbar war ich nicht seiner Meinung, worauf er zur Mordkommission Nord zurückkehrte und allen erklärte, dass ich eindeutig einen Hirnschaden davongetragen hätte. Ich lächelte beim Gedanken daran und im Gedenken an Dom Fanelli, der am 11. September 2001 umgekommen war.
Ich betrachtete Kate und dachte: In diesem Job gibt’s zu viele Tote.
Ich betete darum, dass Kate diese Sache trotz aller medizinischen Unwägbarkeiten ebenso heil überstehen möge wie ich seinerzeit. Aber falls irgendwelche Schäden zurückbleiben sollten, würde ich den Dienst quittieren und mich um sie kümmern. Nachdem ich Asad Khalil umgebracht hatte.
15
I ch setzte meine Wache an Kates Bett fort, hielt ihre Hand und achtete auf Zeichen, dass sie aus der Narkose aufwachte. Mein Handy war auf Vibrieren eingestellt, und ich hatte in der letzten halben Stunde drei Anrufe erhalten, die ich auf Voicemail auflaufen ließ.
Ich hörte den ersten Anruf von Tom Walsh ab, der mir mitteilte: »Im Krankenhaus hat man mir gesagt, dass Kate jetzt aus dem OP ist und sich ausruht. Das freut mich. Außerdem habe ich mit Ermittler Miller über die Fahndung nach Khalil gesprochen. Nichts Neues. Ich habe George Foster angerufen und ihm die Situation klargemacht.« Walsh hatte innegehalten und dann gesagt: »Gabe können wir anscheinend nicht ausfindig machen.« Eine weitere Pause, dann: »Auch Chip Wiggins in Kalifornien nicht. Rufen Sie mich an.«
Der zweite Anruf stammte von Vince Paresi, der, was Gabe Haytham anging, im Grunde genommen das Gleiche wie Walsh sagte, aber hinzufügte: »Ich mache mir ein bisschen Sorgen um Gabe. Wir können auch seine Frau nicht erreichen. Ich schicke einen Streifenwagen zu seinem Haus in Douglaston. Freut mich, dass es Kate besser geht. Rufen Sie mich an.«
Auch ich machte mir Sorgen um Gabe Haytham – und um seine Familie. Jeder Agent ist theoretisch per Handy oder SMS rund um die Uhr erreichbar. Aber wenn man außer Dienst ist, checkt man sein Diensttelefon möglicherweise nicht so oft, wie man sollte. Schließlich war es ein
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