Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Löwe

Der Löwe

Titel: Der Löwe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson DeMille
Vom Netzwerk:
Mal hier war, hatte er entweder großes Glück gehabt – vom Glück gesegnet, würde er sagen –, oder er war sehr schlau gewesen. Diesmal jedoch hatte er mit dem Mord an Gabe und seiner Familie um ein Haar einen verhängnisvollen Fehler gemacht. Das war ein Zeichen, das mich hoffnungsvoll stimmte. Oder es war nur eine einmalige Fehleinschätzung von seiner Seite – und er lernte aus seinen Fehlern.
    Paresi nutzte die Gelegenheit und erinnerte mich an etwas.
»Sie sind wahrscheinlich der Nächste, der es mit ihm zu tun kriegt.«
    »Richtig. Er will es mit mir zu tun kriegen.«
    Paresi erinnerte mich noch an etwas anderes. »Walsh und alle Leute in Washington wollen ihn lebend haben.«
    »Nun ja, das sagen die so, Captain. Aber was wollen sie mit ihm machen? Wenn er in den USA gefasst wird, kann er nicht nach Guantanamo geschickt werden. Wollen sie, dass dieser Typ vor ein Bundesgericht in New York gestellt wird, wo er Sachen sagen kann, die die Presse und die Öffentlichkeit nicht hören sollten? Die ganze Akte ist unter Verschluss.«
    »Das sehe ich ein. Ich war im ACS und habe mir die Akte Khalil vorgenommen. Die hat mehr X als ich.«
    Vince Paresi war zigmal verheiratet gewesen, deshalb kapierte ich den Witz und gluckste höflich. Das Automatic Case System oder ACS war die FBI-Version von Google, und man musste nur ein Thema eingeben und dazu das ATTF-Passwort, und schon bekam man praktisch Zugang zu jedem Fall – aktiv und inaktiv – in der Datenbank des FBI. Allerdings gab es bei vertraulichen Akten interne Sperren, und dann sah man lediglich reihenweise X.
    Für gewöhnlich konnte man auch gesperrten Akten irgendetwas entnehmen, zum Beispiel das Datum, an dem die Akte angelegt worden war, oder wenigstens einen Vermerk, an wen man sich wenden musste, um Zugang zu bekommen. Aber ich habe die Akte Khalil gesehen, und sie enthielt nicht viel mehr als das, was auf dem Fahndungsplakat stand, und auch nicht den geringsten Hinweis, an wen man sich wegen der vielen X wenden musste.
    »Wo ist die Akte, die Sie und Gabe über Khalil geführt haben?«, fragte mich Paresi.
    »Ich suche sie raus, wenn ich in die Dienststelle komme«, erwiderte ich.

    »Okay. Wo sind Sie jetzt?«
    »Auf der malerischen Route 17. Etwa anderthalb Stunden von meinem Schreibtisch entfernt.«
    »Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie hier sind. Wir haben mittags eine Besprechung in Walshs Büro. Dort gibt es weitere Infos. Walsh wird Ihnen alles mitteilen«, erklärte er mir.
    »Teilen Sie’s mir doch gleich mit. Ich muss noch anderthalb Stunden rumkriegen.«
    »Ich möchte ihm seine Präsentation nicht verderben.«
    »Wer ist bei der Besprechung dabei?«
    »Alle Löwenjäger, George Foster, Sie und ich«, sagte er. »Walsh möchte, dass alles klein und konzentriert bleibt.«
    Was so viel hieß wie klein und geheim. Kate und Gabe wären normalerweise auch dabei gewesen, aber das Löwenjägerteam wurde kleiner.
    »Walsh hält Sie für einen Risikofaktor. Also reißen Sie sich bei der Besprechung zusammen.«
    Ich ein Risikofaktor?
    Ich kippte mir die letzten Käsemaden in den Schlund, kaute und dachte an meinen letzten Fall. »Kate und ich haben die Welt vor der atomaren Zerstörung gerettet«, erinnerte ich ihn.
    »Aber was haben Sie in letzter Zeit für uns getan?«
    »Nun ja … im Moment bin ich bloß der Köder für den Löwen.«
    »Oder seine nächste Mahlzeit.« Er legte auf.

22
    I ch fuhr auf der Route 17 weiter.
    Ich nutzte die Zeit, um über Gabe und einige der Erkenntnisse nachzudenken, die er mir vor drei Jahren in Bezug auf Asad Khalil vermittelt hatte. Gabe war Khalil nie begegnet – bis gestern –, aber er hatte eine Art psychologisches Profil seines Glaubensbruders liefern können. So hatte er mir zum Beispiel die Blutfehde erklärt – die Pflicht eines arabischen Mannes, den Mord an einem Familienmitglied zu rächen. Das war es, was Asad Khalil mehr als jede politische Ideologie oder Religion umtrieb und motivierte; die Amerikaner hatten seine Familie umgebracht, und er war aufgrund seiner Ehre dazu verpflichtet, die dafür Verantwortlichen zu töten – und darüber hinaus auch all jene, die ihn davon abhalten wollten. Mich zum Beispiel. Und Kate. Und Gabe. Und wahrscheinlich noch andere.
    Gabe hatte mir gegenüber auch die alte arabische Tradition des einsamen Kriegers erwähnt, des Rächers, der das Gesetz an sich ist, nicht unähnlich dem heroischen amerikanischen Cowboy. Gabe hatte dazu einen Vers zitiert, der das

Weitere Kostenlose Bücher