Der Lord und die Betrügerin
hinuntergezogen worden war in das eisige Wasser, dass sich ihre Lunge damit gefüllt hatte. Sie erschauderte. Nein, oh nein. Sie sank auf den Stuhl. »Das kann nicht sein. Wer hat sie gesehen?«, forschte sie nach.
»Sir Brock von Oak Crest.«
Jeder einzelne Muskel in ihrem Körper erstarrte. »Dieser Bastard hat gesehen, wie sie ertrunken ist? Und er war nicht in der Lage, sie zu retten? Nein, das glaube ich nicht. Er ist ein Lügner... ein Pferdedieb und ein Bandit.«
»Warum sollte er denn lügen?«, fragte Morwenna. Kiera verspannte sich noch mehr. Sie hatte sich so sehr auf Josephs Worte konzentriert, dass sie ganz vergessen hatte, dass Kelans Schwester aufmerksam zuhörte. »Du und ich, wir beide kennen Sir Brock«, rief ihr Morwenna ins Gedächtnis, wobei ihr Blick misstrauisch auf Kiera ruhte. Kiera versuchte verzweifelt, sich ihre Unterhaltung mit Joseph wieder ins Gedächtnis zu rufen. Hatte sie Elyns Namen erwähnt... Oh, was machte das schon? Jetzt war Elyn eventuell tot. Tot! Tränen traten ihr in die Augen. »Du... du hast einmal geglaubt, du seist in ihn verliebt, nicht wahr?«, hakte Morwenna nach.
»Ich nicht«, stritt Kiera mit angespannter Stimme ab.
Morwennas empörter Gesichtsausdruck bezichtigte sie der Lüge. »Aber warum sollte deine Schwester sich mit ihm treffen? Du sprichst doch von Kiera, nicht wahr?«, wandte sie sich an Joseph, dessen Blick sich auf die knisternden Flammen im Kamin konzentrierte.
Er zögerte und sagte dann ausweichend: »Aye, ich spreche von der Schwester der Lady.«
Rhynn kam mit einem voll beladenen Tablett ins Zimmer - wohl kaum, weil es ihre Pflicht ist, sondern weil sie den Klatsch hören will, dachte Kiera ärgerlich. Rhynn lächelte Joseph an und stellte das Tablett auf einen kleinen Tisch. Ein Krug Bier stand darauf, ein Stück Käse und eine Schüssel mit hart gekochten Eiern, daneben ein Brett mit Brot.
»Danke«, flüsterte Kiera der Dienerin zu, die zögernd verharrte. Kiera seufzte und kämpfte gegen die Tränen. »Ich... ich kann das nicht glauben.« Ein dicker Kloß saß in ihrem Hals, und Erinnerungen an ihre ältere Schwester und ihre gemeinsame Kindheit stiegen vor ihrem inneren Auge auf. Elyn und ihre Abenteuer, wie sie im Sommer auf Felsen, die aus dem Wasser ragten, einen Fluss überquerte. Wie sie ohne Sattel auf einem feurigen Pferd durch das Herbstlaub galoppierte. Wie sie mit ihrem Vater auf die Jagd ging - und wie sie den Pfeil auf den Mann abschoss, der Kiera angegriffen hatte. Und sie dachte daran, wie sie Kiera zu diesem verrückten Plan gedrängt hatte, um sie dann einfach Kelan zu überlassen... Lieber Gott, bitte, bitte, rette ihre Seele. Vergib ihr. »Wie... wie geht es Vater? Und Penelope?«, fragte sie, dann schüttelte sie den Kopf und barg das Gesicht in ihren Händen. Tränen der Trauer und der Reue tropften aus ihren Augen. »Oh, das ist alles so falsch.«
»Es tut mir Leid«, sagte Morwenna, und Kiera spürte, wie sie sanft die Hand auf ihre Schulter legte. Durch einen Tränenschleier blinzelte Kiera zu Kelans Schwester auf: Mor- wennas Gesicht, in dem sie so oft Misstrauen gelesen hatte, war mitfühlend und besorgt. »Wenn ich etwas tun kann...«
Kiera seufzte schwer. »Nein, gar nichts, danke«, wehrte sie ab. Zorn, Bedauern und Trauer erfassten sie. »Niemand kann etwas tun.«
Atemlos, mit schmerzenden Gliedern von dem gnadenlosen Ritt, erkannte Wynnifrydd in der Dunkelheit vor sich das Schloss.
Penbrooke. Das Heim von Kelan und... und zweifellos Elyn von Lawenydd.
Der Fluch in Wynnifrydds Leben.
Sicher war Brock innerhalb der Mauern dieser Festung, selbst jetzt noch suchte er wahrscheinlich nach seiner Geliebten. Wynnifrydds betrogenes Herz litt Höllenqualen. Brock hatte vermutlich keine Ruhe gegeben, weil er glaubte, dass Elyn eventuell doch überlebt hatte, dass ihm seine Augen vielleicht einen Streich gespielt hatten, dass sie womöglich an ihren rechtmäßigen Platz zurückgekehrt war, dass sie vielleicht jetzt sogar mit dem Baron verheiratet war.
Dieser lügnerische, elende Bastard.
Sie stieß ihrer Stute die Fersen in die Seiten und drängte das Tier auf dem ausgefahrenen Weg weiter, der nach Penbrooke führte. Der Mond und die Sterne gaben nur ein schwaches Licht, und die Luft war kalt und eisig. Doch das bemerkte Wynnifrydd kaum. Obwohl sie müde war, verspürte sie nun einen Anflug von Erregung.
Die heutige Nacht gehörte ihr. Wynnifrydd würde an Brock und Elyn Rache nehmen und an allen anderen, die
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