Der Lord und die Betrügerin
Teil ihrer Erniedrigung gewesen waren, als ihr Bräutigam sie kurz vor dem Altar stehen gelassen hatte. Selbst jetzt noch fühlte sie ungefiltert diese entsetzliche Schande für sie, für ihren Vater und ganz Fenn. Sie biss die Zähne aufeinander, senkte den Kopf und ritt noch schneller. Sie hörte den Wind in ihren Ohren, der ihr sagte, dass sie endlich in der Lage sein würde, ihre Rache zu nehmen.
Schon bald würden Brock und Elyn und alle, die ein Teil des Plans gewesen waren, dafür bezahlen. Ganz gleich, was es sie auch kostete.
Kiera öffnete die Tür des Gästezimmers und trat ein. Ein weiterer Tag ging zu Ende, und Kelan war noch immer nicht zurückgekehrt.
Joseph, der schon im Bett lag, öffnete die Augen und setzte sich dann rasch auf.
»Nein, nicht«, beruhigte sie ihn und trat ganz in das dunkle Zimmer. »Ich wollte nur nachsehen, ob man sich auch genügend um dich gekümmert hat.«
Er zog einen Mundwinkel hoch. »Man war äußerst emsig«, erklärte er. »Neil hat mir Met und Essen gebracht, und ein anderes Mädchen heißes Wasser und Waschzeug. Der Priester war hier, um mit mir zu beten, und der Arzt hat meine Wunde am Bein gesäubert und verbunden.«
Kiera lächelte. »Willkommen in Penbrooke.«
Er lachte freudlos auf.
»Ruh dich jetzt weiter aus. Ich werde dich nicht stören.«
»Das tut Ihr auch nicht, M'lady«, wehrte er ab und seufzte. »Ich glaube, ich habe genug geschlafen. Mehr habe ich nicht getan, seit ich hier angekommen bin.«
»Du brauchtest den Schlaf.«
Joseph schien davon nicht überzeugt zu sein. Er warf einen Blick auf seine Kleidung, die noch immer zerrissen, aber mittlerweile gesäubert und auf einen Hocker am Feuer gestapelt war. Seine Stiefel waren geputzt, und seine zwei Messer lagen ordentlich auf dem Kaminsims. »Ich wünschte nur, ich hätte die Lady retten können«, meinte er, und seine Stimme klang rau.
»Ich auch«, stimmte ihm Kiera zu. Ihr Herz fühlte sich an, als sei es aus Stein. Ihre Augen brannten von den vielen Tränen, die sie geweint hatte, und in ihrem Inneren tobte das Schuldgefühl. Sie musste ihr Gewissen erleichtern und Kelan diesmal dazu bringen, die Wahrheit zu glauben, selbst wenn das bedeutete, ihn zu verlieren. Sie hatte den ganzen Tag lang auf ihn gewartet, doch er war nicht zurückgekehrt.
Schon vor Stunden war die Dunkelheit angebrochen. Sie hatte den Abend in ängstlicher Erwartung verbracht, hatte angestrengt gelauscht, ob sie seinen Schritt auf der Treppe hörte. Mit jeder Minute, die verstrichen war, wurde sie nervöser. Sie wusste erst jetzt genau, wie sehr sie ihn liebte. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, wenn sie ihn sah. Ihr Puls jagte, wenn er sie anschaute. Und bei seinen Berührungen prickelte es überall. Sie freute sich darauf, die Tage mit ihm zu verbringen, den Ablauf des Lebens im Schloss zu lernen, und sie freute sich darauf, ihn in jeder Nacht zu lieben.
Dumme, dumme Frau.
Und jetzt musst du dich ihm anvertrauen. Denn es könnte sein, dass du schwanger hist. Du hist bereits einen Tag über der Zeit, deine sonst immer so regelmäßige Periode hat sich nicht eingestellt. Der Gedanke, dass es sehr gut möglich sein konnte, dass sie schwanger war, tröstete sie etwas, allerdings nur sehr wenig. Bis sie Kelan die Wahrheit gesagt hatte, würde sie keine Ruhe finden.
»Lord Brock ist für all das verantwortlich«, murmelte Joseph.
»Es war Elyns Entscheidung, sich mit ihm zu treffen.«
»Aber er hätte sie retten müssen.« Joseph schnaubte verächtlich. »Ich werde ihm sein schwarzes Herz aus dem Leib schneiden«, schwor er. Dann schloss er die Augen und seufzte. »Ich hätte sie aufhalten müssen, ich hätte nie zulassen dürfen, dass sie das Pferd nimmt.«
»Das wäre dir nie gelungen.« Kiera legte dem Stalljungen die Hand auf die Schulter. »Niemand hat sie davon abhalten können, sich mit Brock zu treffen. Du darfst dir keine Vorwürfe machen.«
»Das solltet Ihr auch nicht tun, M'lady. Nur Sir Brock. Er ist so schuldig wie der Satan selbst, und er wird dafür bezahlen.«
»Psst. Wir werden an einem anderen Tag darüber reden, jetzt musst du dich weiter ausruhen«, mahnte sie. Sie sah, wie er seine Kleidung betrachtete, so, als hätte er die Absicht aufzustehen, sobald sie das Zimmer verlassen hatte. Sie konnte ihm nicht einmal einen Vorwurf daraus machen. War nicht auch sie ruhelos und brauchte dringend eine Ablenkung?
Mit dem Gedanken an ihre Schwester verließ Kiera ihn, ging in ihr Zimmer und starrte aus
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