Der Lord und die Betrügerin
unterdrücken können. Sie durfte sich nicht zu sehr mit ihrem Fehler beschäftigen, nicht jetzt.
Kelans Gruppe war nicht länger allein. Sie trafen auf andere Gruppen von Reisenden, als sie sich auf der Hauptstraße Penbrooke näherten. Jäger und Soldaten, kräftige Bauern, ältere Kinder, die über den breiten, schlammigen, ausgefahrenen Weg liefen, während die jüngeren sich an die Röcke ihrer Mütter klammerten. Ochsen, Pferde und Maultiere trotteten dahin, legten sich ins Zaumzeug und zogen schwere Karren, beladen mit der Ernte, mit Waren und Schmuckgegenständen.
Die lehmige Straße wand sich durch Eichenwälder und führte dann durch die Felder, die ein Schloss umgaben, wie Kiera noch nie eines gesehen hatte. Es hatte aufgehört zu regnen, und eine blasse Wintersonne warf ihre Strahlen auf das Schloss und seine Umgebung. Kiera war sicher gewesen, dass der alte Priester übertrieben hatte, als er von Kelans Zuhause gesprochen hatte, aber sie hatte sich geirrt. Penbrooke war ein massiges, ausgedehntes Schloss, gebaut aus hellem, grauem Stein, der selbst im fahlen Wintersonnenlicht wie verzaubert glitzerte. Acht rechteckige Türme hoben sich hoch in den Himmel, und eine breite Mauer umgab in einem weiten Bogen das Schloss und schützte damit auch die Stadt.
»Habe ich es Euch nicht gesagt?«, fragte Vater Barton stolz. »Ein schöneres Schloss gibt es im ganzen Land nicht.«
Kelan verschärfte das Tempo, er drängte sein Pferd mit aller Macht voran, und die anderen folgten ihm in jagendem Galopp. Der Wind zerrte an Kieras Haar, peitschte ihr ins Gesicht und raubte ihr den Atem. Sie fühlte sich in eine Hoch-Stimmung versetzt, gemischt mit dem nie versiegenden Gefühl bevorstehenden Unheils. Mit harten Hufen donnerten die Pferde über die Zugbrücke und dann in die Stadt, in der es von Händlern, Bauern, Tieren und Kindern wimmelte. So ungeduldig Kelan auch war, er musste sein Pferd und damit die seiner Begleiter in Schritt fallen lassen, denn die Straßen waren verstopft. Künstler und Handwerker verkauften ihre Kunst- oder Haushaltsgegenstände von Tischen auf der Straße. Hausierer und Bauern hatten ihre Karren an den Straßenrand platziert und boten ihre Waren an, während die Leute sich um sie drängten, um zu feilschen und zu kaufen.
Uber dem Summen der lebhaften Unterhaltung und dem Knarren der Räder weckte die Stimme eines Mannes Kelans Aufmerksamkeit.
»Gesegnet seid Ihr und Eure neue Gemahlin, M'lord!« Der dürre Mann hielt seine Kappe in der Hand und drehte sie nervös in seinen Fingern. »Das mit Eurer Mutter tut mir Leid.«
Kelan zügelte sein Pferd. »Meine Mutter?« Alle Farbe wich aus seinem Gesicht. »Sie ist doch nicht etwa schon gestorben?«
»Nein, oh, nein, Lord Kelan. Ich wollte Euch nicht beunruhigen, ich wollte Euch nur meines Mitgefühls versichern.«
»Gott sei Dank.« Kelan gelang sogar ein kleines Lächeln, als er den drahtigen Mann ansah. »Danke, Tom.«
»Bestimmt wird der Arzt ihr helfen können.« Diesmal war es eine Frau, die sprach. Sie trug ein Baby auf dem Arm, während ein Kleinkind sich an ihre Röcke klammerte und mit scheuem Blick zu Kelan aufsah.
»Lady Lenore ist stark, jawohl, das ist sie. Sie wird bald wieder gesund werden«, meldete sich eine andere Frau, gekleidet über all ihren Wollsachen mit einer großen Schürze und einem Tuch um den Kopf. Sie nickte so schnell, als würde sie sich selbst überzeugen wollen.
»Ich und meine Frau, unsere Gebete sind mit Euch und mit Eurer Familie, M'lord.« Diese Worte kamen von einem anderen Mann mit einer eng anliegenden Kappe und der Kleidung eines Jägers.
Die Frau mit den Apfelbäckchen an seiner Seite lächelte ein wenig. »Willkommen zu Hause, Lord Kelan. Es ist gut, dass nun alle wissen, dass Ihr wieder im Schloss seid. Und meine Glückwünsche zu Eurer Hochzeit.« Ihr Blick wanderte zu Kiera, dann sah sie Kelan wieder an. »Möge der Vater Euch und die Lady mit vielen Söhnen segnen.«
Kiera schloss die Augen und wünschte, sie könnte auch die Ohren verschließen. Sie fühlte die Blicke der neugierigen Menschen auf sich und wagte es nicht, sie anzusehen.
»Ist das die neue Frau des Barons? Sie ist aber ein schmächtiges Ding«, hörte sie eine knarrende Stimme.
Kiera riss die Augen auf, doch sah sie nicht in Richtung desjenigen, der gesprochen hatte.
»Psst, Esme. Sie hat schließlich genauso Ohren wie du.«
»Ist es wahr, dass sie Lord Kelan nicht heiraten wollte? Bei den Göttern, was ist nur los
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