Der Lord und die Betrügerin
mit ihr? Ist sie blind? Ich würde meinen Mann jeden Tag aus meinem Bett werfen für eine oder zwei Stunden mit dem Baron. Wenn er auch nur halb der Mann ist, wie er aussieht, dann weiß er, wie man eine Frau zufrieden stellt.« Esme lachte meckernd über ihren Scherz.
»Sei still! Bist du verrückt? Sie kann dich doch hören!«
»Ach, Unsinn«, murmelte Esme, hielt aber vorsichtshalber tatsächlich den Mund, nur um noch einmal frech zu gackern. Kiera wäre am liebsten in dem lehmigen Boden versunken. Was tat sie hier, wieso ritt sie durch dieses fremde Dorf? Sie war eine Außenseiterin, nicht nur das, sie war dazu eine Betrügerin. Diese Menschen - freie Bauern und Leibeigene, Ritter und Händler, Ehemänner und Ehefrauen -, sie alle zeigten Kelan Respekt, sie verehrten ihn sogar ein bisschen. Und sie war eine Verräterin unter ihnen allen, eine Lügnerin der übelsten Sorte.
Kelan führte sie durch ein weiteres Tor, dessen Fallgatter hoch gezogen war, auf die Wiese des äußeren Schlosshofes. Er veranlasste sein erschöpftes Pferd noch einmal zum Trab, ritt ohne hinzuschauen an einem Aalweiher vorüber, auf dem Enten durch das Schilf schwammen. Tadd ritt an der Seite seines Bruders, Kiera war gleich hinter ihnen.
Sie galoppierten über die Wiese, unter kahlen Apfelbäumen und Pflaumenbäumen her, an den Schuppen vorüber, in denen die Tiere untergebracht waren. Ziegen blökten, Schweine grunzten in ihren Verschlägen, und überall hielten die Männer und Frauen lange genug in ihrer Arbeit inne, um ihrem Lord zuzunicken oder einigen der Soldaten zuzuwinken. Sie alle wussten, dass er Penbrooke verlassen hatte, um zu heiraten. Jetzt war er mit seiner Braut zurückgekehrt, und Kiera wollte gar nicht daran denken, wie er sich wohl fühlen würde, wenn all diese Menschen die Wahrheit erfuhren.
Sie schluckte, weil ihr Hals rau und trocken war, und versuchte, nicht an die Tage zu denken, die vor ihr lagen, und an das, was mit ihr geschehen würde. Und mit Kelan. Mit Elyn. Oh, lieber Gott, wo war nur ihre Schwester? Warum hatte Elyn sie im Stich gelassen, und warum, oh, warum fühlte Kiera seltsamerweise einen winzigen Hoffnungsschimmer, dass sie niemals ihren betrügerisch erworbenen Titel als Kelans Frau würde aufgeben müssen? Was dachte sie sich nur?
Derzeit konnte sie nichts anderes tun, als Kelan zu folgen, der durch ein weiteres Tor in den inneren Schlosshof ritt, wo an der Mauer Hütten standen und sich das weiß gekalkte Schloss, eine Festung innerhalb der breiten Schutzmauern, vier Etagen hoch erhob. Die Küche war in einem separaten Gebäude untergebracht, ein überdachter Gang führte in die große Halle. Auch die Kapelle lag in einem besonderen Gebäude, und die Hütten an der inneren Mauer waren einzigartig gebaut; jede sah eher wie ein Laden aus.
Kiera hatte noch nie zuvor etwas so Großartiges gesehen wie das Schloss von Penbrooke. Der gesprächige Priester hatte nicht übertrieben.
Kelan hielt vor den Stufen zur großen Halle an, und noch ehe der Page, ein Junge mit einem pockennarbigen Gesicht und wild zerzaustem Haar, das Pferd übernehmen konnte, war er schon abgestiegen.
»Sorge für Fate, Will«, befahl Kelan mit grimmigem Gesicht.
»Aye, M'lord.«
»Und auch für das Pferd der Lady.« Er hatte sich umgewandt und wollte Kiera von ihrem Pferd helfen. Tadd war schon von seinem Pferd gesprungen, warf dem Jungen ebenfalls die Zügel zu und stürmte die Stufen zum Schloss hinauf.
Während Kiera aus dem Sattel glitt, streckte Kelan die Hand aus. »Komm mit mir«, befahl er, nahm ihre Hand und ging auf die Treppe zu.
Tadd war bereits im Inneren des Schlosses verschwunden, und ehe sich die Tür hinter ihm schloss, kam eine hoch gewachsene Frau hinausgelaufen. »Gott sei Dank seid ihr wieder da«, erklärte sie mit angespannter Summe. »Es geht um Mutter...« Ihre Stimme brach. »Ich glaube nicht, dass sie die Nacht überstehen wird.« Tränen glänzten in ihren Augen, die so blau waren wie der Himmel um Mitternacht.
»Gütiger Himmel.« An Kelans Kinn zuckte ein Muskel, der Griff um Kieras Hand wurde fester. »Am besten gehst du gleich zu ihr.« »Aye.« Er warf einen Blick auf Kiera. »Das ist meine Schwester Morwenna. Morwenna, meine Frau, Elyn.« »Oh.« Zum ersten Mal blickte die große Frau Kiera an, und
etwas blitzte in ihren Augen auf. »Elyn?« Sie zog die Augenbrauen zusammen, während der Wind ihr das Haar zerzauste und nun Regen vom Himmel fiel. »Nein.« Ungeduldig sah sie ihren
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