Der Lord und die Betrügerin
Er strich ihr eine Locke ihres Haares aus dem Gesicht, und ein Gefühl erfasste ihn, dem er lieber keinen Namen geben wollte. Bei den Göttern, sie war eine Schönheit. Sie seufzte und drehte sich um, ihre Lippen bewegten sich. Er fragte sich mit einem Anflug von Eifersucht, der ihn selbst überraschte, ob sie wohl davon träumte, Liebe zu machen, und wenn das so war, wen küsste sie dann gerade?
»Lord Kelan?«
Wieder klopfte es. Die Pflicht rief. Und sein Magen knurrte. Spielerisch gab er seiner schlafenden Frau einen Klaps auf ihren glatten, weißen Po. »Zeit aufzuwachen.«
Sie vergrub sich in den Decken, und er beugte sich zu ihr und küsste ihre roten Lippen. »Wach auf, Elyn«, flüsterte er, und sie riss die Augen auf. Er fühlte, wie sie zitterte, und sein Blut geriet dabei in Wallung. Als sei es das Natürlichste der Welt, wandte sie ihm das Gesicht zu und bot ihm ihre Lippen dar.
»Lord Kelan?«, rief der Wachmann noch einmal durch die Tür.
»Ich komme gleich!«, rief Kelan, während er die Arme um seine Frau schloss und dann so leise flüsterte, dass nur sie es hören konnte: »Wenn ich hier fertig bin.«
Am Ende kamen sie zu spät. Zu ihrem ersten Essen. Sie hatte sich hastig das Haar geflochten und eines der Kleider übergeworfen, das sie in der Eile eingepackt hatte. Die apfelgrüne Seide raschelte beim Gehen. Das bestickte Mieder war eng, der viereckige Ausschnitt tiefer, als es ihr lieb war, doch sie fühlte sich beschützt als Kelans Frau, ganz gleich, dass ihr dieser Titel nicht zustand.
»Beeil dich«, drängte er und nahm ihre Hand, als sie die Treppe hinunterrannten. Das Gewirr von Stimmen drang durch die Flure bis zu ihnen und brachte den Geruch nach geröstetem Fleisch, frisch gebackenem Brot und alle Arten verlockender Gewürze mit sich. Kieras Magen-meldete sich unüberhörbar. Dennoch war der Gedanke, all die Diener, Untertanen und Familienmitglieder von Kelan zu treffen, verstörend.
Als sie die große Halle erreichten, ertönte ein Trompetenstoß, und eine tiefe Stimme kündigte an: »Wir heißen den Lord von Penbrooke und seine neue Frau Elyn willkommen.«
Kiera wäre beinahe gestolpert, doch Kelan lächelte breit, als die Menschen von den Tischen aufstanden und applaudierten. Sie lächelten ihnen zu, als sie ihren Platz am erhöhten Tisch einnahmen. Musiker spielten auf dem Balkon, sie hielten nur inne, als Kelan alle in der Halle begrüßte und seine Frau vorstellte. »Lady Elyn von Penbrooke.«
Kiera zitterte innerlich. Es gelang ihr, zu lächeln und zu nicken, doch fühlte sie sich ganz wie die Betrügerin, die sie ja auch war. Hildy hatte Recht gehabt, sie hätte die Wahrheit sagen müssen, ehe sie Lawenydd verlassen hatten, denn jeder Tag, der verging, machte alles noch komplizierter. Je länger sie die Rolle als Kelans Frau spielte, desto größer würde sein Zorn sein, seine Schande und seine Scham.
Das Fest war großartig, Speisen um Speisen wurden von den Dienern hereingetragen, und Kiera starb tausend Tode, weil sie wusste, dass sie der Grund für dieses ausgelassene, üppige Fest war. Sie musste sich bemühen zu lächeln, während sie verfolgte, wie ein gefüllter Reiher hereingetragen wurde, dazu Hecht, Lachs und geröstetes Wildschwein, Pudding, Pasteten und Torten, mehr als Kiera jemals essen konnte, wurde ihr angeboten. Sie saß zwischen Kelan und seinem Bruder Tadd, dem Schlingel, der mit ihnen zusammen geritten war und jetzt belustigt darüber schien, dass der Lord von Penbrooke endlich geheiratet hatte. Neben Tadd saß Daylynn, ein wunderschönes, dunkelhaariges Mädchen, das Kiera betrachtete, als sei sie ein eigenartiges, außerirdisches Wesen. Eine weitere Schwester von Kelan, Bryanna, schien freundlich und warmherzig, obwohl in ihren Augen eine große Traurigkeit lag. Kiera nahm an, dass der Grund für diese Trauer die schlechte Gesundheit ihrer Mutter war. Doch der Mensch, der sie am meisten beunruhigte, saß an Kelans anderer Seite. Seine Schwester Morwenna, die ihre neue Schwägerin beobachtete, während sie sich unterhielt und dabei lustlos in dem Essen auf ihrem Teller stocherte.
»Also erinnerst du dich an Schloss Fenn?«, fragte Morwenna, während sie eine köstliche Fischpastete vermanschte.
»Natürlich.« Kiera nickte, doch sie fühlte, wie sich warnend die kleinen Härchen in ihrem Nacken aufrichteten.
»Und da war einer der Knappen, den du besonders gern mochtest, nicht wahr? Brock von Oak Crest?«
Kieras Herz sank. Wo sollte diese
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