Der Lüge schöner Schein
Gedicht.«
»Der Brief war ein Gedicht?« Pascoe überlegte angestrengt. »Das bezweifle ich … wer macht denn so was … aber er könnte jemand anders zitiert haben. Er war – ist – ein großer Freund von Zitaten. Sie wissen nicht vielleicht, was in dem Brief stand?«
»Nein, mein Junge. Solche Dinge werden nicht ohne weiteres preisgegeben, nicht mal unter Polizisten. Wie dem auch sei, schlagen Sie sich’s aus dem Kopf. Wir haben anderes zu tun. Diese Lewis-Sache.«
Er gab die Informationen, die er eben erhalten hatte, an Pascoe weiter.
»Passt alles nicht zusammen«, sagte er abschließend. »Ein einziges Sammelsurium. Ich glaube, Sie müssen sich aufmachen und mit Sturgeon reden, wenn’s geht.«
»In Doncaster?«
»Wenn’s keine Umstände macht«, meinte Dalziel matt. »Wir können ihn natürlich auch bitten, Ihnen auf halber Strecke entgegenzukommen. Schließlich haben wir’s hier ja nur mit einem Achtundsechzigjährigen zu tun, der nach einem Autounfall mehr drüben als hüben ist. Außerdem ist er der Einzige, der bestätigen oder abstreiten kann, was auf den ersten Blick ziemlich abwegig klingt – nämlich, dass er Lewis umgebracht hat. Wenn er’s war, möchte ich das gern von ihm hören, bevor er die Kurve kratzt. Also, auf, auf.«
»Ja, Sir«, sagte Pascoe lustlos.
»Wie geht’s seiner Frau?«, fragte Dalziel.
»Sie ist noch im Krankenhaus, aber auf dem Weg der Besserung. Hat sich Sorgen um die Katzen gemacht.«
»Krankenhäuser«, murrte Dalziel. »Die Ärzte sind diese Woche auf ihre Kosten gekommen. Also, ab mit Ihnen, Sergeant. Tun wir doch einfach so, als ob wir vorwärtskommen, auch wenn wir nur ins Leere treten. Übrigens, wenn Sie schon dabei sind, versuchen Sie herauszufinden, wie’s zu Sturgeons Unfall gekommen ist, ja? Langsam mache ich mir so meine Gedanken.«
»Ich auch, Sir. Aber ich weiß nicht, worüber.«
»Selbstmord nach Mord. Nichts Ungewöhnliches.«
»Stimmt«, sagte Pascoe ausdruckslos.
»Oh, du Scheiße!«, entfuhr es Dalziel. »Tut mir leid. Ich vergesse immer … hören Sie mal, geht Ihnen diese andere Geschichte sehr an die Nieren? Wie viel Rücksichtnahme erwarten Sie von Ihren Mitmenschen?«
»Sie macht mir zu schaffen«, gab Pascoe zu. »Es wird leichter, aber es ist immer da. Und manchmal steigt diese Wut in mir auf. Eine solche Wut, dass ich …«
Er bemerkte, wie er die Fäuste geballt hatte, und zwang sich, sich zu entspannen. Wieso erzähle ich Dalziel das?, fragte er sich. Einem fetten, alten Polypen, für den Tränen in den Augen eines Mannes ein unwiderlegbarer Beweis für dessen homosexuelle Neigungen sind.
»Heben Sie sich die auf, Junge«, riet ihm Dalziel. »Vielleicht kommt sie Ihnen in nächster Zeit noch mal gelegen. Ah, beinah hätt ich’s vergessen. Wir haben Lauder nie nach Lewis gefragt. Rufen Sie ihn an, bevor Sie ins sonnige Doncaster aufbrechen.«
Pascoe fiel auf, dass sein Chef
vergessen
gesagt hatte. Aus seinem Mund klang das wie ein Ausdruck von Mitgefühl.
»Du hast dir also Sorgen gemacht, Andy?«, fragte Dr. Grainger. »Sehr gut. So war’s auch gedacht.«
»Gedacht?«
»Genau. Ich wette, dass deine blühende Phantasie dich mit jeder bereits erforschten Krankheit infiziert und noch ein paar dazuerfunden hat. Also gut, es wird dich freuen zu hören, dass du keine davon hast.«
»Keine? Du meinst, bei mir ist alles in Ordnung?«, knurrte Dalziel, in dem es langsam zu brodeln begann.
»Sei nicht enttäuscht. Gesund bist du nämlich auch nicht, das gebe ich dir schriftlich. Darum hilft vielleicht ein bisschen rechtschaffene Angst. Ich zähl dir mal all deine Fehler auf: Du rauchst zu viel, du trinkst zu viel und du isst zu viel. Außerdem fällst du deinem Arzt ins Wort. Du wolltest schlechte Nachrichten. Hier hast du sie. Entweder befolgst du meine Anweisungen, oder in ein, maximal zwei Jahren hast du eine Handvoll Beschwerden, dass du wirklich auf der Nase liegst, und loskriegen wirst du die vielleicht nicht mehr.«
»Was zum Beispiel?«, fragte Dalziel zerknirscht.
»Kannst du dir aussuchen. Bluthochdruck, Bronchitis, Zirrhose, Thrombose.«
»Allmächtiger!« Dalziel konnte es nicht fassen. »Die kann ich doch nicht alle auf einmal haben.«
»Glaub mir«, erwiderte Grainger, »wir alle haben die. Nur manche haben sie halt ein bisschen mehr. Ich habe einen Diätplan für dich zusammengestellt. Als Erstes musst du mindestens fünf, sechs Kilo abnehmen. Das wird dir nicht leicht fallen, weil du dich
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