Der Lüge schöner Schein
für den Austausch von Höflichkeiten.
»Mr. Sturgeon, ich habe in Lochart angerufen«, sagte Pascoe bedachtsam. »Der Constable dort sagt, es gibt keinen Archie Selkirk im Bezirk.«
Keine Antwort.
»Er sagte mir, Sie haben auch angerufen. Was wollten Sie von diesem Selkirk?«
Sturgeon schloss die Augen, hörte aber immer noch zu.
»Na gut, was ist mit John Atkinson?«, fragte Pascoe. »Was haben Sie mit dem zu tun? Kennen Sie James Cowley? Kannten Sie Matthew Lewis?«
Deutlich wahrnehmbar wurden die Lider fester zusammengepresst. So kamen sie nicht weiter. Eine Krankenschwester kam vorbei, stieß die Tür auf, sah Pascoe abschätzend an und ging wieder ihres Weges.
»Hören Sie, Edgar«, sagte Pascoe mit eindringlicher Stimme und beugte sich näher zu Sturgeon hinunter. »Das bringt doch nichts. Sie
wollten
doch, dass ich Ihnen helfe. Sagen Sie mir, was los ist, und ich werde sehen, dass ich die Sache kläre. Hat es was mit dem Einbruch zu tun? Mit Ihren Briefmarken?«
Noch immer nichts. Wie kam er am besten an Sturgeon ran? Der Mann würde es nicht verkraften, in Zusammenhang mit einem Mordfall verhört zu werden. Pascoe konnte sich kaum vorstellen, dass jemand wie Sturgeon die Absicht oder die Kraft aufbringen könnte, Lewis umzubringen, doch gerade, weil er unschuldig war, wäre der Schock womöglich umso größer.
»Na gut, Edgar. Ich gehe jetzt«, sagte er zu den geschlossenen Augen. »Ich komme wieder.«
Er stand auf, um zu gehen. Die Augen öffneten sich.
»Mavis?«, flüsterte Sturgeon.
»Mavis? Ja, ich habe sie besucht.«
»Besucht?« Sturgeon war verwirrt. Er weiß natürlich nicht, dass sie auch im Krankenhaus liegt, dachte Pascoe. Er fragt sich, warum ich hier stehe, und nicht sie.
»Ich werd’s ihr sagen«, versuchte er ihn zu beruhigen und wollte nur noch weg.
»Sie soll kommen. Ich will ihr alles erklären.«
Die Worte waren kaum zu verstehen. Die Tür ging auf, der Arzt und die Krankenschwester kamen herein. Pascoe nahm keine Notiz von ihnen.
»Was erklären, Edgar?«
»Offensichtlich haben Sie ihn aufgeheitert«, bemerkte der Arzt. »Was hat er gesagt?«
»Er hat nach seiner Frau gefragt.«
»Seiner Frau? Um Himmels willen, Sie haben ihm doch wohl nicht gesagt, dass sie auch im Krankenhaus liegt?«
»Krankenhaus? Mavis im Krankenhaus?«
Jetzt waren Sturgeons Worte deutlich zu verstehen.
»Nein, aber Sie«, ließ Pascoe den Arzt wissen. »Hören Sie, Edgar, es ist alles in Ordnung, sie ist bald wieder auf dem Damm. Es hat sie eben nur sehr mitgenommen, als sie von Ihrem Unfall hörte. Sie werden sich bald erholen, sie wird sich bald erholen, so einfach ist das.«
Sturgeon sah eindringlich zu ihm hoch, in seinen Augen war wieder Leben.
»Verdammt sollen sie sein«, sagte er. »Verdammt zu ewiger Hölle! Verdammt.«
»Wer, Edgar? Wer?«, fragte Pascoe. Sturgeon ignorierte ihn. Er holte ein paarmal tief Luft.
»Was ist mit mir, Herr Doktor?«, fragte er mit schwacher Stimme. »Wird’s wieder?«
»Aber ganz bestimmt. Wenn Sie auf sich aufpassen, sind Sie in ein paar Monaten wieder ganz der Alte.« Er klang sehr überzeugend.
»Gut«, sagte Sturgeon. »Dann möchte ich jetzt mit Sergeant Pascoe sprechen.«
Einen Augenblick sah der Arzt unschlüssig zu ihm hinunter, doch was immer er im Gesicht des alten Mannes gelesen hatte, gab ihm Gewissheit.
»Fünf Minuten«, sagte er. »Nicht länger.«
Sturgeon war schon am Reden, bevor der Arzt und die Schwester den Raum verlassen hatten. Seine Stimme war leise und zittrig, aber er sprach schnell, als wäre er in großer Eile. Pascoe stellte keine Fragen und unterbrach ihn nicht. Nach zehn Minuten kam die Schwester und jagte ihn wütend hinaus.
Draußen traf er auf den Arzt.
»Hat’s was gebracht?«, fragte der fröhlich.
»Ich glaube schon. Was wird aus ihm?«
Er drehte sich zu der nun völlig reglos im Bett liegenden Gestalt um.
»Tja, ich würde sagen, Sie haben ihn entweder kuriert oder massakriert. Was meinen Sie? Wir sagen Ihnen Bescheid.«
Voller Erleichterung trat Pascoe in den schwächelnden Doncasterschen Sonnenschein hinaus und suchte sich eine Telefonzelle. Er hätte im Krankenhaus darum bitten können, ein Telefon benutzen zu dürfen, doch hatte er es eilig gehabt, ins Freie zu kommen. Selbst weitläufige, moderne, gut ausgestattete Krankenhäuser konnten einem das Hirn mit eingebildeten Schmerzens- und Verzweiflungsschreien vernebeln.
Dalziel hörte sich voller Interesse seine Geschichte an. Er schien nicht
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