Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Lügner

Der Lügner

Titel: Der Lügner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
Vom Netzwerk:
dem Bettrand saß, von Kopf bis Fuß blutgetränkt. Er saß in Richtung eines Schreibtisches, auf dem ein kleines Radio stand.
    »… ich nehme an, es gibt verschiedene Grade des Aufschreckens, wie es von den meisten Dingen verschiedene Grade gibt. Wenn es eine den Beaufort-, Moh- oder Richterskalen vergleichbare offizielle Skala gäbe und diese von eins bis zehn reichte, würde ich sagen, daß ich auf dieser Trefusianischen Skala hochgradiger Alarmiertheit mindestens beeindruckende 9,7 erreichte, auf jeden Fall bei der europäischen Jury. Die Ostdeutschen wären vermutlich weniger großzügig gewesen, aber selbst sie wären nicht umhin gekommen, mir 9,5 für künstlerischen Eindruck zu geben …«
    Rudi umklammerte den Türgriff, schwang halb von der Tür weg und starrte den Toten mit unschuldiger Überraschung und Erstaunen an, wie ein Kind, das Esel beim Kopulieren beobachtet.
    Ein Klopfen an der Tür des Wohnzimmers brachte ihn wieder zu sich.
    Eine hohe englische Stimme rief durchs Wohnzimmer.
    »Martin! Sind Sie da? Martin!«
    Rudi sprang hoch. Das war Hexerei.
    Zwei Männer hatten das Wohnzimmer betreten, der eine grauhaarig, der andere eher in Rudis Alter. Sie lächelten.
    »Ah, Lemon Wodka auf dem Flügel. Martins ganz besonderes Gift.«
    Rudi keuchte.
    »Sie sind … Sie sind!« sagte Rudi und zeigte auf den Älteren.
    »Was bin ich?« fragte der Mann überrascht.
    Er war also Deutscher, dieser Mann. Aber die Stimme. Die Stimme war die …
    Rudi zeigte aufs Schlafzimmer.
    »Da drinnen sitzt ein Mann!«
    »Stimmt etwas nicht mit ihm, Donald?«
    »Er ist tot!«
    »Oje«, sagte Trefusis und eilte weiter. »Bitte nicht. Bitte nicht.«
    Adrian folgte ihm ins Schlafzimmer.
    »… es Sie wissen lassen werde, natürlich nur die unter Ihnen, die das interessiert, die anderen werden halt raten müssen. Falls Sie das getan haben, dann fahren Sie inzwischen damit fort, und denken Sie ja nicht daran aufzuhören.«
    »Nun, wie der Professor uns gerade mitgeteilt hat, war dies die letzte der laufenden Serie seiner
Hörfunkstunden aus Donald Trefusis’ Feder
. Es folgen die halbstündigen Weltnachrichten, danach
Meridian. BBC World Service
. Hier ist Lond…«
    Adrian schaltete das Radio ab und wandte seinen Blick dem jungen Mann auf dem Bett zu.
    Seine Kehle war in einem großen Bogen von einem Ohr zum anderen aufgeschnitten worden. Es war, als ob ihm unter dem Kinn ein zweiter Mund beigebracht worden wäre. Auch das Jackenfutter des Armen war aufgerissen worden. Genau wie bei Moltaj im vorigen Jahr hatte der Hautlappen eine abstoßend falsche, plastikartige, künstliche Erscheinung. Adrian nahm an, ebenso wie echtes Gewehrfeuer angeblich nicht realistisch klang, so hatte der echte Tod einen falscheren Anschein als das geronnene Blut im Kino.
    Rudi zeigte auf das Radio: »Das waren Sie, nicht wahr?«
    Trefusis nickte unbestimmt. »Jawohl, das war ich.«
    »Aber Sie sind schon Österreicher oder Deutscher?«
    »Nein, Engländer.«
    »Echt?«
    »Echt«, sagte Trefusis. »Haben Sie die Polizei schon angerufen?«
    »Nein … ich bin erst zwei Minuten da …«
    »Also.«
    Trefusis ging zum Schreibtisch hinüber und hob das Radio hoch.
    »Und haben Sie jemanden gesehen?«
    »Nein … nie – Moment! Ja, einen dicken Mann … sehr dick …«
    »Mit kleinem Kopf und schütterem Haar?«
    »Ganz genau!«
    »Dieser junge Herr und ich werden auf die Polizei warten, Adrian.«
    Adrian nickte. Ihm war schlecht, richtig schlecht. Schlechter noch als beim Dabeisein bei Moltajs Tod im Mozarthaus, schlechter, als er sich je im Leben gefühlt hatte. Es war seine Schuld. Es war alles seine Schuld. Vom Lügner zum Mörder, wie in Äsops Fabel.
    Trefusis hatte sich an den Tisch gesetzt und kritzelte etwas auf ein Blatt Schreibpapier des Hotels. Adrian wappnete sich, um sich dann wieder umzudrehen und den Toten zu betrachten. Die zerrissene Kehle und das Blut, das in die Laken sickerte, waren eklig genug, aber irgendwie erschienen die wilden Fetzen des Kunststoffutters der Jacke noch um etliches obszöner. Sie offenbarten eine böswillige, animalische Wut, die Adrians Seele mit Furcht erfüllte.
    »Adrian, ich möchte, daß Sie diese Notiz aufs Britische Konsulat bringen«, sagte Trefusis. »Sie muß dem Adressaten persönlich übergeben werden. Keinem anderen.«
    Adrian sah auf den Namen auf dem Umschlag.
    »Sind Sie sicher, Donald?«
    »Völlig sicher, danke. Das Konsulat befindet sich am Alten Markt Nummer 4. Das ist jetzt alles weit genug

Weitere Kostenlose Bücher