Der Lügner
von mir, daß ich während der bedeutendsten heiligen Festwoche im ganzen verdammten christlichen verdammten Kalender ununterbrochen verdammte Kartoffeln lese?«
»Natürlich nicht, Schatz. Ich bin sicher, du wirst es genießen, für Mr. Sutcliffe zu arbeiten, er ist ein sehr netter Mensch. Und Vater wird sich so freuen.«
Sie strich ihm mit dem Handrücken über die Wange. Aber Adrian war nicht gewillt, es ohne weiteres hinzunehmen. Er stand auf und wusch seine Tasse unter dem Wasserhahn aus.
»Laß doch stehen, Schatz. Betsy erledigt das schon.«
»Es ist ein verdammter Schwindel. Schließlich haben wir im nächsten Semester Kricket. Dafür muß ich doch trainieren.«
»Also ich bin sicher, daß du auf dem Bauernhof ansehnlich und fit werden wirst, Schatz.«
»Das ist nicht dasselbe wie Training, oder?«
»Hör auf zu quengeln, Ade. Das hört sich häßlich an. Und ich muß gestehen, ich weiß nicht recht, wo diese plötzliche Sportbegeisterung eigentlich herkommt, Liebling. Mr. Mountford schreibt in deinem Zeugnis, du hättest es im letzten Semester geschafft, an keinem einzigen Rugbyspiel und keiner einzigen Sportstunde teilzunehmen.«
»Kricket ist was anderes«, sagte Adrian. »Ich meine, die meiste Zeit im Jahr schickt ihr mich fort auf eine Schule, und sobald ich zurückkomme, könnt ihr’s gar nicht erwarten, mich wieder loszuwerden. Ich hoffe bloß, ihr beide seid nicht überrascht, wenn ich euch in ein Altersheim sperre, wenn ihr mal alt und übelriechend seid.«
»Schatz! Sei nicht so abscheulich.«
»Und ich komme euch nur besuchen, um euch Arbeit zu geben. Hemden bügeln und Socken stopfen.«
»Ade, so etwas sagt man nicht!«
»Und dann wird es euch erst dämmern, wie es ist, nicht einmal vom eigenen Fleisch und Blut geliebt zu werden!« sagte Adrian und trocknete sich die Hände ab. »Und hör auf zu kichern, Frau, denn das ist nicht komisch!«
»Nein, Schatz, das ist es wirklich nicht«, sagte seine Mutter mit der Hand vor dem Mund.
»Ach, ich geb’s auf«, hatte er gesagt und ihr ein Trockentuch auf den Kopf gelegt. »Ich geb’s auf, verdammt noch mal.«
Der menschliche Geist, oder sein Fehlen, ist so beschaffen, daß Adrian, wie gräßlich die Arbeit auch sein mochte, von der Routine so eingelullt war, daß ihm die Stunden manchmal verflogen wie Minuten. Er versuchte, sich intensiv zu konzentrieren und seinen Zeitungsbeitrag imKopf zu entwerfen. Aber er wurde dauernd von anderen Gedanken abgelenkt. Er merkte, daß er ein Theaterstück mit sich selbst als Gott und den Kartoffeln als Menschen aufführte. Diese hier schleuderte er in die ewige Finsternis, jene da bewahrte er bei sich.
»Es ist wohlgetan, du gute und gerechte Knolle, gehe ein zu deinem Lohne.«
»Sünder! Verdorbener! Dich reiße ich aus, dich reiße ich aus. Schau, mit diesem Schandfleck verdamme ich dich.«
Er war sich nicht sicher, ob man besser eine verfaulte oder eine unversehrte Kartoffel war, ob er lieber mit den anderen Tugendbolden sicher in einen warmen Sack gestopft oder zur Seite geworfen und wieder untergepflügt werden wollte. Eins war sicher, beider Los war dem Schicksal Gottes vorzuziehen.
Die grünen Kartoffeln waren besonders interessant. Donald Sutcliffe, der Bauer, hatte sie ihm eines Tages in der Mittagspause erklärt.
»Knollen müssen unterirdisch wachsen. Wenn sie an die Oberfläche kommen und Sonnenlicht abkriegen, beginnt die Fotosynthese, dabei entsteht Chlorophyll, und das färbt sie grün. Eine grüne Kartoffel ist eine Verwandtschaft des bittersüßen Nachtschattens. Nicht so giftig, aber auch nicht gerade gesund.«
Das ließ Adrian sofort denken, er wäre eine grüne Kartoffel und Cartwright die Sonne.
Ich wurde vom Licht geküßt und verwandelt, dachte er. Ich bin gefährlich, und Gott hat mich verworfen.
Das tat er immerzu in jenen Tagen. Alles, was er sah, wurde zum Symbol seiner eigenen Existenz, vom im Scheinwerferkegel erfaßten Kaninchen bis zu den Regentropfen, die an der Fensterscheibe herabliefen. Vielleichtwar das ein Zeichen, daß er Dichter oder Philosoph werden würde: eine von jenen Gestalten, die, wenn sie am Meeresrand standen, keine Welle an den Strand schlagen sahen, sondern das Wogen des menschlichen Willens oder die Rhythmen des Beischlafs, die nicht den Klang von Ebbe und Flut hörten, sondern das nagende Klagen der Zeit und den letzten jammernden Seufzer der Menschheit, die ins Nichts verzischte. Aber vielleicht war es auch ein Zeichen, dachte er, daß er
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