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Der Lügner

Der Lügner

Titel: Der Lügner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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provozieren Zorn, Haß und Wahnsinn. Wenn junge Leute sich im Schlafsaal gegenseitig einen von der Palme schütteln, dann beteiligen sie sich an einem liebenswerten alten Brauch, einem von der Zeit geheiligten Ritual: Der einzige Grund, warum es Schulverweise gibt, ist, daß diese Tradition sich verheulten Müttern und verschlagenen Zeitungen nicht vermitteln läßt. Aber wenn Jungen sagen, daß sie lieber Schlagzeuger als Rechtsanwalt, Gärtner als Manager, Dichter als Soldat werden wollen, daß sie von Prüfungen und Autorität und Ehe nicht viel halten, daß sie, wenn sie alt genug dafür sind, vorhaben, die Welt nach ihren Vorstellungen einzurichten und nicht sich selbst auf die Vorstellungen der Welt zurechtzustutzen, dann gibt es echte Probleme.
    Jemand hat einmal gesagt, daß Kapitalismus die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen ist und Kommunismus das genaue Gegenteil. Ich nehme an, die meisten von uns stimmen dem zu. Ich kenne keine kommunistischen Schüler, aber ich kenne Hunderte von revolutionären Schülern.
    Das Ideal der Sechziger lautete Umsturz durch Gewalt. Ich weiß nicht, ob ihr den Film
If …
gesehen habt. Ich bezweifle es, jedes Jahr versucht der Kinoclub ihn zu zeigen,und jedes Jahr wird das vom Direx verboten. Der Film endet damit, daß eine Schülergruppe sich in Guerilleros verwandelt und Eltern und Lehrkörper ermordet. Die Leute sagten damals, obwohl er in einer Schule spielt, war er eigentlich als Metapher fürs richtige Leben gemeint. Also ich weiß ja nicht, wie’s euch geht, aber für mich ist die Schule das richtige Leben. Und wird es vermutlich noch jahrelang bleiben. Ich habe selbstverständlich kein Interesse daran, einen unserer Lehrer totzuschießen (na ja, nicht mehr als zwei oder drei, höchstens), aber ich habe großes Interesse daran, ihre Autorität in Frage zu stellen. Nicht unbedingt daran, sie ihnen zu entreißen, wohl aber, sie
anzufechten
. Zu fragen, wo sie herkommt, wie man sie erwirbt. Wenn man uns sagt, daß sie allein durch Alter und Stärke erworben wird, dann wissen wir, in was für einer Welt wir leben, und ich hoffe, wir werden wissen, was zu tun ist. Immerzu fordert man von uns, Respekt zu zeigen. Nun, den besten von ihnen können wir Respekt zeigen, was uns schwerfällt, ist, Respekt zu
fühlen
.
    Unsere Generation, die Generation der Siebziger, ruft nach einer sozialen Revolution, keiner pol-
     
    »Adrian!«
    »Ach, Scheiße!«
    »Wir können dann gehen, Schatz.«
    »Gehen? Wohin?« rief Adrian.
    »In die Kirche natürlich.«
    »Aber ihr habt doch gesagt, ich muß nicht!«
    »Was?«
    Adrian kam aus seinem Zimmer und sah in die Diele hinunter. Seine Eltern standen an der Tür, eingehüllt in ihren besten Sonntagsstaat.
    »Ich bin mitten in meinem Schulprojekt. Ihr habt gesagt, ich muß nicht in die Kirche.«
    Sein Vater schnaubte.
    »Mach dich nicht lächerlich! Natürlich mußt du.«
    »Aber ich arbeite …«
    »Du bindest dir einen Schlips um und kommst runter –
sofort


III
     
    »Du bist ein verfluchter Irrer«, sagte Tom.
    »
Du
bist ein verfluchter Irrer«, sagte Adrian.
    »Wir alle sind verfluchte Irre«, sagte Bullock.
    Sie saßen in Bullocks und Sampsons Zimmer und blätterten in Heften von »Bullochse!«. Der Koffer, auf dem sie saßen, fühlte sich wie ein Pulverfaß an. Er enthielt siebenhundert Hefte, die auf ihre Verteilung warteten.
    »Hört mal, Kinder«, hatte Bullock gesagt, als Adrian am Ende des vorigen Semesters den Titel vorgeschlagen hatte, »›BUM‹ ist viel besser. Bullocks Untergrund-Magazin. Bullochse ist mein Spitzname, verdammt noch mal. Jedem ist dann doch sofort klar, daß ich damit zu tun hatte.«
    »Darum geht es doch gerade, meine kleine Liebesnudel«, hatte Adrian geantwortet. »Niemand wird glauben, unser bregenreicher Bullochse wäre so dämlich, ein subversives Untergrundmagazin nach sich selbst zu benennen.«
    Also blieb es bei »Bullochse!«. Grafiken gab es keine, weil nur Sampson und Tom einiges Zeichentalent hatten, und ihre Stile waren zu leicht zu erkennen.
    Das Magazin, in dem sie jetzt blätterten, bestand ausfünfzehn einfachen, auf einer Gestetner abgezogenen getippten Seiten auf grünem Papier. Keine Handschrift, keine Illustrationen oder Kennzeichen irgendwelcher Art. Es hätte von jedem und allen in jedem Wohnhaus der Schule stammen können. Bullock hatte keine Probleme damit gehabt, die Matrizen zu Hause unter totaler Geheimhaltung zu tippen und abzuziehen.
    Nach zahlreichen Streichungen und

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