Der Lügner
hatte und gegen einen Baumstumpf zu treten begann.
»Warum mußte ich ausgerechnet die einsamste verfluchte Raststätte der ganzen verwünschten Autobahn aussuchen?«
»Ich mache mir selbst Vorwürfe, Adrian, ich hätte näher am Hauptgebäude parken sollen, ich hoffe, Ihnen fehlt nichts?«
»Also, wenigstens haben sie mir weder Paß noch Portemonnaie abgenommen. Überhaupt haben sie nichts mitgehen lassen, soweit ich sehen kann.«
»Stimmt nicht ganz.«
Hilflos deutete der Tweed auf den Rücksitz des Wolseley.
»Meine Aktentasche, muß ich leider sagen.«
»Oh. Was war drin?«
»Papiere.«
»Puh. Noch mal knapp davongekommen. Sollen wir die Polizei rufen?«
DREI
I
Vor dem Traktor, von dessen Servomotor betrieben, befand sich eine Pflückvorrichtung. Ein Fließband lief an der Seite entlang und spie die Kartoffeln auf einen rollenden Rahmen. Adrian und Lucy hatten die Aufgabe, sie »aufzubereiten«, die vergammelten, grünen oder zermatschten Kartoffeln herauszusuchen, während sie sich Tony zuwälzten, der am Ende stand und die überlebenden in Säcke füllte. Alle zwanzig oder dreißig Minuten hielten sie an und luden ein Dutzend voller Säcke auf einem Haufen in der Mitte des Ackers ab.
Es war eine widerliche Aufgabe. Die verfaulten und die guten sahen gleich aus, weswegen Lucy und Adrian jede einzelne Kartoffel, die vor ihnen entlang hüpfte und sprang, hochheben und untersuchen mußten. Die schlechten platzten unter dem geringsten Druck, explodierten in einen Matsch aus übelriechendem Schleim. Wenn es regnete, spritzte der Schlamm von den Reifen hoch und besudelte ihre Gesichter und Kleidung; wenn es trocken war, erstickten sie in Staubwolken, die ihnen das Haar verfilzten. Das endlos klirrende, knirschende, winselnde Heulen hätte die Hintergrundmusik zu einer dieser Höllenvisionen von Hieronymus Bosch liefern können, dachte Adrian, wo die jammernden Verdammten sich im Stehen die Ohren zuhalten, während um sie herum Dämonen fröhlich ihre Possen treiben und deren Geschlechtsteile mit Mistforken pieken.
Aber die Insassen der Hölle könnten wenigstens versuchen,sich miteinander zu unterhalten, so hart es auch wäre, sich beim Rumpeln der Tretmühlen und dem Heulen der Feueröfen verständlich zu machen. Lucy und Tony, Bruder und Schwester, wechselten mit Adrian nie ein Wort außer »Morgen«, wenn er bei Tagesanbruch frierend kam, und einem »Nacht«, wenn er bei Einbruch der Dämmerung steif wie eine Statue sein Fahrrad bestieg, um schlapp nach Hause zu strampeln in Bad und Bett.
Lucy starrte bloß auf die Kartoffeln. Tony starrte bloß auf seinen Abfüllapparat. Manchmal erwischte Adrian sie, wie sie sich in einer Weise gegenseitig anstarrten, die ihn an die Witzdefinition einer Jungfrau aus Cotswold erinnerte: ein häßliches Mädchen unter zwölf, das schneller laufen kann als sein Bruder.
Lucy war keine Schönheit, aber nach den Blicken zu urteilen, die sie mit ihrem Bruder austauschte, nahm Adrian an, daß sie auch keine Sprinterin war.
Die Tatsache allein, daß man von ihm erwartete, die Osterferien über zu arbeiten, hatte ihm einen Schlag versetzt. Er war durchaus daran gewöhnt, daß man ihm auftrug, sich im Sommer einen Job zu suchen: Kellner im Restaurant Cider with Rosie, Zusammenstellen von Kammlosen in der Spinnerei, Kurbeln der Pappschachtelmaschine im Werk der ICI in Dursley, Johannisbeerenpflücken in Uley, Vögelfüttern im Vogelschutzgebiet in Slimbridge.
»Aber Ostern!« hatte er am ersten Ferientag in seine Cornflakes gejammert. »Nein, Mutter, nein!«
»Du bist fünfzehn, Schatz! Den meisten Jungen in deinem Alter gefällt der Gedanke an irgendeine leichte Arbeit. Vater hält es für eine gute Idee.«
»Das weiß ich, aber ich hab schon Arbeit. Mein Schulprojekt.«Adrian dachte dabei an den Artikel für die Untergrundschülerzeitung der Schule, den er Bullock versprochen hatte.
»Er will nicht, daß du deine Zeit damit verschwendest, in der Stube herumzuhocken.«
»Der muß das grade sagen. Er verbringt doch das ganze verdammte Jahr eingepfercht in seinem dämlichen Labor.«
»Das ist nicht fair, Ade. Und das weißt du ganz genau.«
»Ich brauchte mir noch nie in den Osterferien einen Job zu suchen.«
Seine Mutter goß sich die vierte Tasse Tee ein.
»Willst du’s nicht für mich probieren, Schatz? Und sehen, wie’s läuft?«
»Das heißt doch bloß, daß ich meinen Aufsatz am Osterwochenende schreiben muß, oder etwa nicht? Oder erwartet man
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