Der Lügner

Titel: Der Lügner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry

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zum arroganten Wichser wurde.
    Am letzten Werktag vor Ostern, dem Gründonnerstag, hatten die vier im sich verdichtenden Zwielicht Säcke auf den Anhänger geladen, als Adrian eine Schar riesiger Vögel auffiel, schwarz wie Priester, die am anderen Ende des Ackers an verfaulten Kartoffeln pickten.
    »Guckt doch mal, wie groß diese Krähen sind!« hatte er gerufen.
    »Bursche«, sagte Mr. Sutcliffe und zerrte an einem Sack, »wenn du einen Haufen Krähen zusammen siehst, sind das Saatkrähen. Und wenn du eine Saatkrähe allein siehst, ist das eine verteufelte Krähe.«
    »Aha«, sagte Adrian. »Verstanden. Aber angenommen, eine Saatkrähe verirrt sich oder haut alleine ab. Wie nennen Sie die dann?«
    Mr. Sutcliffe röhrte vor Lachen.
    »Also ich weiß ja nicht, wie’s dir geht, Bursche, aber ich nenn das ein Rabenaas!«

II
›DIE LÄSTERSCHULE‹
    oder ›Die Erziehung eines englischen Gentlemans‹ vom Bittersüßen Nachtschatten

    Der Club zum Ringelschwänzchenreihen ist exklusiv. Exklusiv, weil man ihm nur beitreten kann, wenn man im Juniorenschlafsaal schläft, einem ohne Schlafnischen. Es ist nicht schwer, Mitglied zu werden. Es gilt Zwangsmitgliedschaft. Wenn einer sich weigert, kann der Club sich nicht treffen.
    Die Regeln sind schnell gelernt. Sobald das Licht aus ist, streckst du deine rechte Hand aus, bis sie das
membrum virile
deines Nachbarn findet. Dasselbe geschieht dir vom Jungen zu deiner Linken. Auf ein gegebenes Signal des Clubpräsidenten hin (stets der Präfekt, der die Pflicht hat, in einem Juniorenschlafsaal zu schlafen) heißt es, alle Hände an die Pumpen, und der letzte, dem einer abgeht, steht für eine Woche auf dem Putzplan fürs Badezimmer.
    Es ist ein ruhiger, zivilisierter und umgänglicher Club, der Ringelschwänzchenreihen. Vergleichbare gibt es in jedem Wohnhaus der Schule und in jeder Public School des Landes. Ein Bekannter aus Ampleforth hat mir von einer Heißschrank-Gesellschaft erzählt, einer aus Rugby vom Milkshakeclub, dessen Name für sich spricht. Ein wykhamistischer Freund hat mir von einem Zeitvertreib in Winchester erzählt, der sich Keksspiel nennt. Die Spieler stehen im Kreis und spritzen auf einen Vollkornkeks ab. Der letzte, der seine Ladung auf den Keks löscht, muß ihn essen. Eine neue Sorte Cremefüllung, die nahrhafter ist als alles, worauf McVitie’s bislang gekommen sind. Zudem noch vollgestopft mit Kalium und Vitaminen. VonZeit zu Zeit dringen Nachrichten von diesen kleinen Amüsements nach draußen. Ein nachlässiges Wort von Bletchley-Titherton seiner älteren Schwester gegenüber, ein Brief von einem jungen Savonarola nach Hause, und die Sache fliegt auf. Es folgen Tränen, Vorwürfe und hastige Schulverweise.
    Das ist merkwürdig. Reden wir doch nicht drum herum, Jungs, die meisten unserer Väter haben wenn nicht diese Schule, dann zumindest eine sehr ähnliche besucht. Genau wie die meisten Lehrer. Milkshakeclubs und ihresgleichen sind so alt wie Kirchenstufen.
    Doch wir befinden uns in England, wo das einzige Verbrechen darin besteht, sich erwischen zu lassen.
    »Mein lieber alter Knabe, wir wissen doch alle, was los ist, aber es hat wirklich keinen Sinn, sich deswegen aufzuregen. Wirft alle Pläne übern Haufen, trübt das Wasser, was?«
    Ich muß immer ans Unterhaus denken. Sechshundert Männer oder so, die meisten aus Public Schools. Täglich äußern sie sich zu den moralischen Übeln der Welt, aber überlegt doch mal, meine Lieben, denkt bloß an die Dinge, die sie gemacht haben und immer noch machen mit ihren eigenen Körpern und denen anderer.
    Wir werden auf die Macht vorbereitet. In zwanzig Jahren werden wir sehen, wie Mitglieder unseres Clubs zum Ringelschwänzchenreihen im Fernsehen über Ölpreise sprechen, den Standpunkt der Kirche zur IRA erläutern,
Blue Peter
moderieren, Fabriken schließen, als Richter drakonische Urteile verhängen.
    Oder nicht?
    Die Welt verändert sich. Wir lassen uns das Haar lang wachsen, wir nehmen Drogen. Wie viele von denen, diediesen Artikel lesen, haben noch kein Cannabis auf dem Schulgelände geraucht? Uns liegt nicht viel an Macht, uns liegt viel daran, die Welt zu verändern.
    Das aber ist wirklich nicht zu tolerieren. Für diese Sorte Verbrechen darf es kein »mein lieber alter Klassenkamerad« geben.
    Der Club zum Ringelschwänzchenreihen mag Tränen provozieren, Vorwürfe, hastige Schulverweise und noch hastigeres Vertuschen und befreiendes Lachen. Aber lange Haare, Dope und echte Rebellion