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Der Lügner

Der Lügner

Titel: Der Lügner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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Cremeschnitte, »du bist es gewesen, oder etwa nicht? Das sagen doch alle.«
    »Komisch, mir hat jemand erzählt, du wärst es gewesen«, sagte Adrian.
    Er fand es schmerzhaft und frustrierend, nicht herumkrähen zu können, welche Rolle er bei dem Ganzen gespielthatte. Bullock, Sampsons und Tom schwelgten in der Anonymität, aber Adrian sehnte sich nach Applaus und Anerkennung. Selbst Hohn und Spott wären etwas gewesen. Er fragte sich, ob Cartwright wohl seinen Artikel gelesen hatte. Was würde er davon halten? Was würde er von seinem
Verfasser
halten?
    Er beobachtete genau, wie die Leute reagierten, wenn man sie bezichtigte, einen der Beiträge geschrieben zu haben. Er war stets darum bemüht, seine Meisterschaft in der hohen Kunst des Lügens zu vervollkommnen, und das genaue Studium wurde von dem Schauspiel belohnt, wie Leute unter Druck die Wahrheit sagten.
    Er merkte, daß sie zum Beispiel sagten:
    »Ja, ich war’s, ehrlich gesagt.«
    »Verpiß dich, Aitcheson! Jeder weiß doch, daß du es warst.«
    »O Gott! Wie hast du das herausgefunden? Meinst du, der Direx weiß es?«
    Adrian merkte sich all diese Antworten und wiederholte sie, so gewissenhaft er konnte.
    Und dann hatten die Autoritäten zurückgeschlagen.
    Adrians Hausvorsteher Tickford erhob sich am selben Tag nach dem Mittagessen, ebenso die anderen elf Vorsteher in den anderen elf Häusern.
    »Sämtliche Hefte dieses Magazins werden vor den Wettkämpfen heute nachmittag von den Präfekten in den Zimmern eingesammelt und vernichtet. Jeder, der nach drei Uhr noch im Besitz eines Hefts angetroffen wird, wird streng bestraft!«
    Adrian hatte Tickford noch nie so wütend gesehen. Er fragte sich, ob er womöglich erraten hatte, daß »Bullochse!« in seinem Haus entstanden war.
    Tom und er hatten fröhlich ihre beiden Hefte abgegeben.
    »Da haben Sie es,
Hauptmann
Bennett-Jones«, sagte Adrian, »wir sind außerdem im Besitz einer Ausgabe des
Urteils
von dem berüchtigten Juden Kafka. Berlin würde es zu schätzen wissen, denke ich, wenn auch dies auf dem Scheiterhaufen landen würde. Ebenso wie die Werke der dekadenten, lesbischen Bolschewistin Jane Austen.«
    »Paß du lieber auf, Healey. Du stehst auf der Liste. Wenn du mit diesem Stück Scheiße etwas zu tun hast, kriegst du ernsthafte Probleme.«
    »Danke, Sargent. Du brauchst deine wertvolle Zeit nicht weiter zu vergeuden. Ich bin sicher, du hast viele gleichartige Anliegen in der Nachbarschaft.«
    Aber obwohl die Zeitung sensationell eingeschlagen hatte, hatte Adrian das Gefühl einer Antiklimax. Sein Artikel würde nicht auch nur eine Spur ändern. Er hatte nicht gerade offene Kriegsführung in den Klassenzimmern erwartet, aber es war deprimierend, sich klarzumachen, daß er und Bullock und die anderen, einmal entlarvt, morgen von der Schule fliegen, eine Zeitlang
das
Gesprächsthema bilden und dann in völlige Vergessenheit versinken würden. Jungen waren feige und konventionell. Deswegen funktionierte das System, nahm er an.
    Außerdem spürte er, daß er, wenn er später im Leben als Zwanzigjähriger auf seinen Artikel stoßen würde, angesichts seiner Dünkelhaftigkeit peinlich berührt zusammenzucken würde. Aber warum sollte sein zukünftiges Ich das verspotten, was er jetzt war? Es war schrecklich zu wissen, daß die Zeit ihn dazu bringen würde, alles zu verraten, woran er jetzt glaubte.
    Was ich jetzt bin, ist
richtig
, sagte er sich. Nie wiederwerde ich die Dinge so klar sehen, nie wieder werde ich alles so umfassend verstehen wie in diesem Augenblick.
    Die Welt würde sich niemals ändern, wenn die Leute so von ihr aufgesogen wurden.
    Er versuchte, Tom seine Gefühle zu erklären, aber Tom war nicht in Gesprächslaune.
    »Mir scheint, es gibt nur einen Weg, die Welt zu verändern«, sagte Tom.
    »Und der wäre?« fragte Adrian.
    »Verändere dich selbst.«
    »Ach, das ist doch Ochsenkram!«
    »Und ›Bullochse!‹ sagt die Wahrheit.«
    Er ging in die Bibliothek und las mehr über seine Symptome. Cyril Connolly, Robin Maugham, T. C. Worsley, Robert Graves, Simon Raven: Sie alle hatten ihren Cartwright gehabt. Und die Romane! Dutzende.
Herr verstoße uns, Im Schatten der Jugend, Der vierte Juni, Sandel, Les Amiliis Particulières, Der Hügel …
    Er gehörte zu einer langen Reihe elumpiger, verbitterter Mittelklassesensibelchen, die ihre schwachen und dekadenten Begierden als etwas Vergeistigtes und Sokratisches verkleideten. Und warum auch nicht? Wenn das bedeutete, seine Tage auf einer

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