Der Lügner
ein Problemchen wie Maria?« flötete er. »Wie fängt man sich ’ne Wolke ohne Zaun? Wo findet man ein Wörtchen wie Maria? ’nen Schwätzer oder Irrlicht oder Clown?«
Hugos Zimmer lagen im Eckturm. Im selben Turm, wo Lord Byron seinen Bären gehalten hatte, womit er sich den Zorn der College-Autoritäten zugezogen hatte, die ihm hochmütig mitgeteilt hatten, das Halten von Haustieren auf dem Zimmer sei streng verboten. Byron hatte ihnen versichert, es handle sich keineswegs um ein Haustier. Es war ein ungezähmter Bär, so scharf und wild er nur sein konnte, und gegen seinen Willen hatten sie sich genötigt gesehen, ihm die Haltung zu erlauben.
»Wie löst man ein Problemchen wie Maria? Wie hält man einen Mondstrahl in der Hand?«
Hugo machte die Tür auf.
»Ich habe ein Glas Sardellenpaste mitgebracht, ein halbes Dutzend Kartoffelfladen und ein Päckchen meiner ganz besonderen Mischung von Formosa Oolong und Orange Pekoe«, sagte Adrian, »aber ich wurde vor Caius von einer Bande Wegelagerer überfallen, und sie haben mir alles gestohlen.«
»Ist schon in Ordnung«, sagte Hugo. »Ich hab noch Wein.«
Was so ungefähr alles war, was er hatte. Er schenkte zwei Becher voll.
»Wunderbar«, sagte Adrian und nippte beifällig. »Ich frage mich, wie sie’s geschafft haben, die Katze auf die Flasche zu setzen.«
»Er ist billig, darum geht’s.«
Adrian sah sich im Zimmer um. Aus der Anzahl leerer Flaschen um sie herum schloß er, daß Preisgünstigkeit in der Tat der Hauptfaktor in Hugos Weinerwerbsstrategie gewesen sein mußte. Das Zimmer war äußerst dürftig eingerichtet; außer den üblichen Collegetischen und -stühlen traf Adrians prüfender Blick an interessanten Objekten bloß eine Fotografie von Hugos schauspielernder Mutter auf dem Tisch, ein
Peter-Flowerbuck -Poster
an der Wand, das Adrian mit einem großen Hut zeigte, wie er Hugo von einem schnaubenden Gary wegführte, eine Handvoll Penguin-Klassiker, eine Gitarre, einige LPs und einen Plattenspieler.
»Also, was soll’s Hugo, mein alter Kuchenkrümel. Wie läuft’s denn so?«
»Alles«, sagte Hugo, »ist fürchterlich.«
Man sah es nicht. In jungen Gesichtern sieht man keinen Alkoholismus. Hugos Augen waren klar, sein Teint gesund und seine Figur schlank.
»Liegt’s an der Arbeit?«
»Nein, nein. Ich hab in letzter Zeit bloß eine Menge nachgedacht.«
»Na ja, dafür sind wir da, nehm ich an.«
Hugo füllte seinen Becher mit mehr Wein.
»Ich möchte bloß sehen, ob ich dich langsam durchschaue. Du verführst mich in meinem ersten Jahr in der Schule und meidest mich danach vollständig, bis du denen eine Lüge auftischst, von wegen Schweinchen Trotter wäre in mich verliebt gewesen … Julian Rundell hat mich darüber übrigens aufgeklärt. Dann verführst du mich wieder, indem du so tust, als wärst du eingeschlafen. Jahre später, nachdem du meine Prep School um ihren Kricketsieg betrogen hast, teilst du mir mit, du hättest in jener Nacht gar nicht geschlafen, was ich in Wirklichkeit
nicht
wußte, auch wenn ich so tat. Und was passiert dann? Genau, du schreibst einen falschen Dickensroman, der eine Figur beschreibt, die aussieht wie ich und die zufällig mit jemandem schläft, der aussieht wie du und der zufällig gerade schläft. Ich glaube, das ist alles. Paß auf, was ich bloß wissen will, ist … was hab ich dir denn bloß angetan?«
»Hugo, ich weiß, es scheint …«
»Es beunruhigt mich, siehst du. Ich muß dir, ohne es zu wissen, etwas Furchtbares angetan haben, und ich hätte gern, daß das alles jetzt bitte aufhört.«
»O mein Gott«, sagte Adrian.
Es war so schwer, diesen Mann mit Cartwright in Verbindung zu bringen. Wenn Hugo an einer anderen Prep School unterrichtet und eine andere Universität besucht hätte, wäre die Erinnerung an ihn nicht von einem Anblick wie diesem fremdartigen Hugo getrübt worden, der zitterte und in seinen Wein hineinweinte. Natürlich
war
ereine andere Person, in seinen Molekülen mußte der alte Cartwright einige dutzendmal ausgetauscht worden sein, seit er der schönste Mensch gewesen war, der je auf Erden wandelte. Und der alte Adrian, der ihn geliebt hatte, war nicht derselbe Adrian wie der, der ihn jetzt anschaute. Es war wie das Beil des Philosophen. Nach ein paar Jahren tauscht der Philosoph das Eisen aus, später tauscht er den Stiel aus. Dann verschleißt das Eisen, und er tauscht es erneut aus, dann wieder den Stiel. Können wir das immer noch als dasselbe Beil bezeichnen?
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