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Der Lügner

Der Lügner

Titel: Der Lügner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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entsetzlich bestürzend. Helen und ich waren so betrübt. Letztes Jahr habe ich Trotter unterrichtet; ein so anziehender Junge. Ich hoffe, Sie fühlen sich stark genug, zu mir zu kommen und darüber zu sprechen. Nur wenn es Ihnen nichts ausmacht, natürlich. Helen und ich wären entzückt, wenn Sie uns in diesem Semester am Freitagnachmittag öfter besuchen könnten. Mit großem Mitgefühl in dieser schrecklichen Zeit. Humphrey Biffen.«
    Am Nachmittag spielten Tom und Adrian Cribbage, als es an der Tür klopfte. »Avanti!«
    Es war Cartwright, der verstört aussah.
    »Kann ich dich kurz sprechen, Healey?«
    Tom sah den Ausdruck in Cartwrights Gesicht und griff nach einem Buch und einer Sonnenbrille.
    »Ich verdufte lieber.«
    »Danke, Thompson.« Cartwright stand mit gesenktem Kopf da und wartete, bis Tom die Tür hinter sich geschlossen hatte.
    »Setz dich doch«, sagte Adrian.
    »Ich war grade bei Tickford«, sagte Cartwright, der entweder nichts gehört hatte oder die Aufforderung ignorierte.
    »Ach ja?«
    »Er sagte, Trotter wäre irgendwie … sozusagen in mich verknallt gewesen. Und daß du ihm das erzählt hättest.«
    »Na ja, das hatte Trotter mir erzählt.«
    »Aber ich kannte ihn nicht einmal!«
    Adrian zuckte die Achseln.
    »Tut mir leid, Cartwright, aber du kennst den Laden hier ja.«
    Cartwright setzte sich in Toms Sessel und starrte aus dem Fenster.
    »Ach Höllenläuten. Das spricht sich doch in der ganzen Schule rum.«
    »Ausgeschlossen«, sagte Adrian. »Tickford wird es niemandem sagen. Ich werde es bestimmt niemandem sagen. Ich hab’s schließlich nicht mal Thompson erzählt, und dem erzähl ich sonst alles.«
    »Aber Tick meint, ich muß zur Beerdigung. Was sollen die Leute denn von mir denken?«
    »Also …«, sagte Adrian und überlegte fieberhaft. »Ich gehe auch zur Beerdigung. Ich werde verbreiten, deine Eltern wären mit Trotters Eltern befreundet.«
    »Das sollte gehen«, sagte Cartwright, »aber warum mußtest du es Tickford überhaupt erst erzählen?«
    »Es war Selbstmord! Er hat einen Abschiedsbrief hinterlassen. Der lautete ›Healey kann alles erzählen‹ oder so ähnlich. Was hätte ich denn machen können außer die Wahrheit sagen?«
    Cartwright sah zu ihm hoch.
    »Hat Schweinchen, hat Trotter gesagt … hat er dir erzählt, wie lange er diese, diese
Sache
für mich hatte?«
    »Anscheinend, seit du auf die Schule gekommen bist.«
    Cartwright ließ den Kopf sinken und starrte auf den Fußboden. Als er wieder hochsah, hatte er Tränen in den Augen. Er sah wütend und schöner denn je aus.
    »Warum hat er es
dir
erzählt?« rief er. »Warum konnte er es mir nicht sagen? Und warum mußte er loslaufen und sich umbringen?«
    Der Ärger in Cartwrights Stimme brachte Adrian aus der Fassung.
    »Na, ich nehme an, er hatte Angst, du … du könntest ihn abblitzen lassen oder so. Ich weiß nicht, wie so was funktioniert.«
    »Mehr Angst davor, ich könne ihn abblitzen lassen, als davor, sich umzubringen?«
    Adrian nickte.
    »Und ab jetzt muß ich also mein ganzes Leben lang jeden Morgen mit dem Wissen aufwachen, für den Selbstmord eines Menschen verantwortlich zu sein?«
    Tränen liefen ihm die Wangen herab. Adrian beugte sich vor und berührte ihn an der Schulter.
    »So darfst du niemals darüber denken, Hugo. Niemals!« sagte er.
    Nie zuvor hatte er ihn Hugo genannt, und nie hatte er ihn berührt, seit sie sich in den Waschräumen des Wohnhauses kurz miteinander bekannt gemacht hatten, und damals hatte Adrian noch nicht gewußt, daß er verliebt war.
    »Ich bin mindestens genauso verantwortlich wie du«, sagte Adrian. »Mehr noch eigentlich, wenn überhaupt.«
    Cartwright starrte ihn überrascht an.
    »Wie meinst du das?«
    »Na ja«, sagte Adrian, »ich hätte Trotter raten können, es dir zu sagen, oder nicht? Ich hätte ihm raten können, es nicht in sich reinzufressen.«
    »Aber du konntest doch nicht ahnen, was geschehen würde.«
    »Und du eben auch nicht, Hugo. Und jetzt komm, wisch dir die Tränen ab, oder die Leute kriegen mit, daß wirklich was faul ist. Wir gehen zu der Beerdigung, und in ein paar Wochen haben wir es dann vergessen.«
    »Danke, Healey. Es tut mir leid, daß ich so …«
    »Adrian. Und du brauchst dich für nichts zu entschuldigen.«
     
    Zwischen jenem Tag und dem, an dem sie nach Harrogate fuhren, hatten sie kein Wort gewechselt. Adrian hatte gesehen, wie Cartwright mit seinen Freunden umherzog, als wäre nichts passiert. Das Wohnhaus tat sein Bestes, den

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