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Der Lügner

Der Lügner

Titel: Der Lügner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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falls das Gedächtnis seinem Thron noch nicht gänzlich entsagt hat, glaube ich, gibt es ungefähr achtzig Kilometer von hier eine Werkstatt und einen
Routier
. Bis dahin können wir uns gegenseitig unsere Lebensgeschichten erzählen.«
    »Gerne«, sagte Adrian. »Sie fangen an. Erzählen Sie mir von Bletchley.«
    »Da gibt es wenig zu erzählen. Es wurde zu Kriegszeiten als Entschlüsselungsstation aufgebaut und mit Personal vornehmlich aus Cambridge ausgestattet.«
    »Warum Cambridge?«
    »Der nächstgelegenen Universitätsstadt. Als erstes rekrutierten sie Philologen und Linguisten wie mich.«
    »Wann war das?«
    »1940. Ungefähr zur Zeit der Schlacht um England.«
    »Und wie alt waren Sie?«
    »Pah und Gebabbel! Soll das denn ein Verhör werden? Ich war zweiundzwanzig.«
    »Gut. Ich hab mich bloß gefragt.«
    »Jung und bis Oberkante Unterlippe übersprudelnd mit Idealen und Theorien über Sprache. Und wer war da sonst noch außer mir? Ein Dutzend Mädchen, die mit großer Brillanz und feiner Nase Akten ordneten und Tippse spielten.Der Schachmeister Harry Golombek gehörte natürlich zum Team und H. F. O. Alexander, ebenfalls ein ausgezeichneter, glänzender Spieler. Zunächst war alles sehr gemütlich und spaßig, ein Ringen mit feindlichen Chiffren, die in ganz Europa und Afrika abgefangen worden waren. Es stellte sich allerdings schnell heraus, daß man zur Dechiffrierung der Verschlüsselungsmaschine Enigma der deutschen Abwehr Mathematiker brauchte. Bekanntschaft mit Dechiffrierungstechniken des letzten Krieges, die Fähigkeit, das Kreuzworträtsel der
Times
beim Rasieren zu lösen, und eine Kenntnis der russischen Verben der Bewegung waren nicht mehr genug. Deswegen holten sie Alan Turing dazu, von dem Sie gehört haben mögen.«
    Hatte Adrian nicht.
    »Nicht? Wie schade. Brillanter Mann. Ziemlich brillant, aber sehr traurig. Hat sich am Ende umgebracht. Viele schreiben ihm die Erfindung des Digitalrechners zu. Ich kann mich nicht genau erinnern, wie es dazu kam. Es war ein rein mathematisches Problem, das die Welt der Zahlen fünfzig Jahre lang beschäftigt hatte, glaube ich, und er hatte es als junger Mann gelöst, indem er die Existenz eines Zahlen zermahlenden Automaten angenommen hatte. Es war nie seine Absicht gewesen, so ein Ding zu bauen, sondern lediglich die Hypothese ihres Modells, um eine abstrakte Schwierigkeit lösen zu helfen. Aber im Gegensatz zu vielen Mathematikern genoß er die physikalische Anwendung von Zahlen. Seine Baracke in Bletchley füllte sich schnell mit Reihen und noch mehr Reihen aus Röhren. Erinnern Sie sich an Kathodenröhren? Kleine Vakuumröhren, die organgefarben leuchteten.«
    »Ich erinnere mich«, sagte Adrian. »Die Fernseher brauchten immer eine Ewigkeit, um warm zu werden.«
    »Genau. Und Alan hatte Tausende von ihnen auf eine unmöglich komplizierte Weise miteinander verbunden. Die hatte er von der Post.«
    »Von der Post?«
    »Ja, das
General Post Office
hatte schon vor dem Krieg mit Elektronik herumexperimentiert, und sie schienen die einzigen Leute zu sein, die sich mit dem Zeug wirklich auskannten. Die schlaue Sache bei dieser Enigma-Maschine war, daß sie, obwohl sie vollständig mechanisch funktionierte, sich täglich änderte und daß die Anzahl der Permutationen so grotesk riesig war, daß die alten Dechiffriertechniken nicht funktionierten. Alan hat das Problem genial gelöst. Aber das war natürlich nur das erste Stadium. Er mußte immer noch den Code kennen, bevor er die Chiffre lesen konnte.«
    »Worin besteht denn der Unterschied zwischen einer Chiffre und einem Code?«
    »Ach, das läßt sich einfach erklären«, sagte Trefusis. »Stellen Sie sich ein System vor, in dem sich eine Zahl auf einen Buchstaben des Alphabets bezieht. A wäre eins, B zwei, C drei und so weiter, ›Adrian‹ wäre also ›eins – vier – achtzehn – neun – eins – vierzehn‹, verstehen Sie?«
    »Ja …«
    »Das ist eine sehr einfache Art der Chiffre, und eine in ihr abgefaßte Botschaft könnte binnen Sekunden von jedem Groschengrips gelöst werden. Aber angenommen, wir beide hätten uns im voraus auf ein Wort geeinigt … ›Kekse‹ zum Beispiel würde ›neunzehn Uhr‹ bedeuten und ein anderes Wort, ›Desmond‹ zum Beispiel, sollte ›das Café Florian auf dem Markusplatz in Venedig‹ bezeichnen.«
    »Kapiert …«
    »Dann brauchte ich Ihnen bloß ein Signal zu schicken: ›Bitte senden Sie nur heute einige Kekse, Gruß, Desmond‹, und Sie wüßten, daß ich

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