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Der Lügner

Der Lügner

Titel: Der Lügner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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kommen.«
    »Nein, nein, nein«, sagte der Mann im blauen Anzug, »die fünfzig sind für Sie. Probieren Sie’s noch mal.«
    Adrian drehte sich erstaunt um.
    »Also, das ist furchtbar nett … sind Sie sicher?«
    »Ja, allerdings.«
    Die fünfzig waren bald aufgebraucht.
    »Kommen Sie, ich lade Sie zu einem Drink ein«, sagte der Mann. »Ich kenne eine Kneipe gleich um die Ecke.«
    Sie verließen das Geklingel und Gesumme und die angespannte, gehetzte Konzentration der Spielhölle, gingen die Old Compton Street hoch und betraten einen kleinen Pub in einer Nebenstraße. Der Barkeeper fragte nicht nach Adrians Alter, was eine ungewohnte Erleichterung war.
    »Sie habe ich noch nie gesehen. Immer gut, ein neues Gesicht kennenzulernen. Ja wirklich.«
    »Ich dachte, in London wäre jeder ein Fremder«, sagte Adrian. »Ich meine, hier in der Gegend sind doch fast nur Touristen, oder?«
    »Ach, eigentlich nicht«, sagte der Mann. »Sie wären erstaunt. Eigentlich ist es ein Dorf.«
    »Flippern Sie oft?«
    »Ich? Nein. Mein Büro liegt oben an der Charing Cross Road. Ich schau bloß abends auf dem Nachhauseweg gern mal rein. Ja wirklich.«
    »Ach so.«
    »Erst habe ich Sie für ein Mädchen gehalten mit dem Haar und … allem.«
    Adrian wurde rot. Er wurde nicht gern daran erinnert, wie lange sein Bart auf sich warten ließ.
    »Nichts für ungut. Mir gefällt’s … es steht Ihnen.«
    »Danke.«
    »Ja wirklich. Ja, doch, wirklich.«
    Adrian machte sich eine Notiz, irgendwo im Hinterkopf, am nächsten Tag zum Friseur zu gehen.
    »Mir klingen Sie ein bißchen nach Public School. Hab ich recht?«
    Adrian nickte.
    »Harrow«, sagte er. Er dachte, das wäre ein sicherer Tip.
    »Harrow, sagen Sie? Harrow! Meine Güte, ich schätze, Sie werden einschlagen wie eine Bombe. Ja wirklich. Haben Sie schon eine Bleibe?«
    »Na ja …«
    »Sie können sich bei mir einquartieren, wenn Sie wollen. Bloß eine kleine Wohnung in der Brewer Street, aber dafür nicht weit.«
    »Das ist schrecklich nett von Ihnen … ich suche Arbeit, wissen Sie.«
    Und so einfach war es eben gewesen. Gestern ein fauler Student, heute ein fleißiger Prostituierter.
    »Die Sache ist, sobald meine Guckerchen dich erblickten, dachte ich, ›das ist nicht für eine Nacht, der ist es‹. Ich treibe mich seit fünfzehn Jahren am Dilly rum, und ich erkenne die, wirklich, Möpschen, das tu ich. Und jetzt tut’s mir leid, sagen zu müssen, daß du mich schon nächste Woche langweilen wirst. Ungerupfte Hühnchen sind meine Spezialität, und spätestens am Donnerstag steh ich nicht mehr auf dich. Zumindest wird er nicht mehr stehen. Har har! Aber du kannst dir ein bißchen die Haare schneiden – nicht zu viel – , deinen Akzent aus Harrow fit halten, und du wirst zwei blaue Tauben die Woche machen. Ja wirklich.«
    »Zwei blaue Tauben?«
    »Zweihundert, Schnuckelchen.«
    »Aber was muß ich da machen?«
    Und Don erklärte es ihm. Es gab grundsätzlich zwei Spielwiesen, die Fleischraufe, ein eisernes Fußgängergitter vor dem
Playland
, wo mehr los war, und dann noch der U-Bahnhof Piccadilly selbst.
    »Aber da mußt du aufpassen. Hüte dich vor den Gesetzeshütern.«
    Don war kein Zuhälter. Er arbeitete für einen absolut respektablen Musikverlag in der Denmark Street. Adrian zahlte ihm dreißig Pfund pro Woche, was seine Unterkunft abdeckte und die Benutzung der Wohnung für Freier während des Tages. Abends war es Sache der Freier, für Unterkunft zu sorgen.
    »Fang bloß nicht an, Kaugummi zu kauen, Horse zu spritzen oder nach Strich auszusehen, das ist alles.«
    Zuerst waren die Tage langsam vergangen, jedes Ansprechen nervenaufreibend und auffällig, aber bald beschleunigte der ruhige Puls der Routine die Tage. Die Jugend gewöhnt sich mit überraschender Schnelligkeit an die größten Schindereien wie Kartoffelernte oder Hausaufgaben. Prostitution hatte dabei noch den Vorteil der Abwechslung.
    Mit den anderen Strichjungen kam Adrian ganz gut zurecht. Die meisten waren härter und muskulöser als er, Skinheads mit Tätowierungen, Hosenträgern und fiesem Blick. Sie sahen ihn als keine echte Konkurrenz an, und manchmal empfahlen sie ihn sogar weiter.
    »Kennst du jemanden, der nicht so … stämmig ist?« mochte ein Kunde fragen.
    »Da könntste Hugo probieren, um die Tageszeit sitzt der meistens in der Bar Italia und macht das Kreuzworträtsel in der
Times
. Breitkord mit Schlag und Blazer. Nicht zu verfehlen.«
    Adrian faszinierte die Tatsache, daß die

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