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Der Lügner

Der Lügner

Titel: Der Lügner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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Sie am gleichen Tag abends um sieben bei Florian treffen will. Das ist ein Code und könnte unmöglich geknackt werden, außer jemand hört, wie wir uns darauf einigen, oder einer von uns wäre dumm genug, es aufzuschreiben.«
    »Ich verstehe«, sagte Adrian. »Aber warum benutzt man dann nicht nur Codes, wenn die nicht zu knacken sind?«
    »Dummerweise muß man im Krieg eine enorme Menge unvorhersehbarer und detaillierter Informationen senden. Man kann vom Empfänger nicht erwarten, daß er Tausende verschiedener Codewörter auswendig lernt, und sie aufzuschreiben wäre zu unsicher. Also wurde es üblich, die beiden Systeme zu mischen. Eine komplizierte Chiffre wurde benutzt, die nur geknackt werden konnte, wenn man einen Schlüsselbegriff kannte, einen Code, der sich eben täglich änderte. Enigma funktionierte auf diese Weise. Deswegen brauchten wir, selbst als wir Enigma gelöst hatten, den Geheimdienst, um uns mit Hinweisen zu versorgen, so daß wir den täglichen Code knacken konnten. An der Stelle kam ich ins Spiel und natürlich Ihr alter Freund Humphrey Biffen.«
    »Humphrey Biffen?«
    »Ich glaube, er hat Ihnen früher Französisch beigebracht.«
    »Meine Güte! Und Biffo hat auch in Bletchley gearbeitet?«
    »O ja. Und Helen Sorrel-Cameron, die er später heiratete. Die täglichen Schlüsselworte zu raten war unsere ganz besondere Spezialität.«
    »Aber wie haben Sie das bloß geschafft?«
    »Na ja, die Deutschen vertrauten so sehr darauf, daß Enigma nicht zu knacken war, daß sie bemerkenswert nachlässig wurden, was die Zuweisung des täglichen Schlüssels anging. Der Geheimdienst versorgte uns mit den Namen der Funker und Chiffrierbeamten der deutschen Abwehr, und Humphrey und ich fingen an zu raten. Wir hatten immer enorm detaillierte Akten über jeden Beamten: seine Hobbies, Liebschaften, Familie, Flirts, Liebhaberinnen, Haustiere, seinen Geschmack in Musik und Essen … ach, alles. Jeden Tag haben wir andere Ideen ausprobiert, den Namen des Hundes eines bestimmten Funkers, das Lieblingsgebäck, den Mädchennamen, solche Sachen. Meistens schafften wir es schließlich.«
    »Aber die Deutschen müssen doch sicher entdeckt haben, daß Sie ihn geknackt hatten?«
    »Nun, das ist die Besonderheit dieser Art Arbeit. Unsere Aufgabe war bloß, den militärischen Geheimdienst mit allem zu versorgen, was wir dechiffrierten. In der Regel versäumten sie es dann, entsprechend zu handeln.«
    »Warum?«
    »Weil sie den Feind keinesfalls wissen lassen durften, daß sie seine allergeheimsten Übertragungen lasen. Man geht zum Beispiel davon aus, daß Churchill rechtzeitig von dem bevorstehenden Luftangriff auf Coventry wußte, es aber unterließ, Armee und Luftwaffe zu informieren, aus Angst, zusätzliche Verteidigungsanlagen in der Region hätten die Deutschen erkennen lassen, daß man vorher davon gewußt hatte. Das ist nicht ganz richtig, aber es veranschaulicht das Prinzip. Andere glauben wieder, daß Admiral Canaris, der Chef der Abwehrabteilung im Oberkommando der Wehrmacht, sich vollkommen darüber im klaren war, daß wir Enigma die ganze Zeit lasen, aber erwar so probritisch und so entsetzt über das Verhalten des Führers, daß er es einfach zuließ.«
    »Faszinierend«, sagte Adrian. »Gott, ich wünschte, ich hätte zu der Zeit dabeisein dürfen.«
    »Ach, ich weiß nicht«, sagte Trefusis. »Ich glaube, Sie hätten sich gelangweilt.«
    Trefusis schaute in die Landschaft und auf die Straßenschilder. »Noch fünfzig Kilometer oder so bis zu unserer Raststätte. Jetzt sind Sie dran. Was geschah in Ihrem kurzen Leben? Viel, daran zweifle ich nicht.«
    »Ach, so viel auch wieder nicht«, sagte Adrian. »Ich wurde mal wegen Kokainbesitzes festgenommen.«
    »Tatsächlich?«
    »Ja. Ich habe eine Zeitlang mit einem Schauspieler zusammen gelebt, nachdem ich einige Monate als Strichjunge gearbeitet hatte.«
    »Als Strichjunge?« sagte Trefusis. »Wie wagemutig! Und Kokainbesitz? Kamen Sie ins Gefängnis?«
    »Also als erstes sollte ich Ihnen erzählen, wie ich von der Schule flog. Dafür müßten zwanzig Kilometer reichen. Dann erzähle ich Ihnen, was danach geschah.«

NEUN
     
     

I
     
    Das erste Blatt hatte er ganze drei Stunden lang angestarrt, unfähig, ein einziges Wort zu schreiben. Hinterher kam eins der Mädchen auf ihn zu.
    »Ich hab dich gesehen, Adrian Healey! Konntest du denn keine einzige Frage beantworten?«
    Zwei Jahre an diesem dämlichen College, das seine Schüler ›Studenten‹ nannte und

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