Der Lügner
Nehmen wir einmal an, ein Student mit phänomenalen Fähigkeiten in, zum Beispiel, Englisch, immatrikuliert sich. Der geborene Kandidat für die Promotion, eine Dozentenstelle, ein Leben der Gelehrsamkeit oder, scheitert er daran, für eine kreative Existenz als Lyriker, Romancier oder Dramatiker. Er trudelt mit genau diesen Ambitionen und funkelnden Ideen ein, aber dann … kriegen sie ihn in die Finger.«
»Sie?«
»Zwei Jahre nach dem Abschluß erhält dieser erstklassige Verstand achtzigtausend Pfund im Jahr, um Werbeslogans für eine bestimmte Marke Erdnußbutter zu entwerfen, oder er schreibt hochnäsige Artikel in Hochglanzmagazinen über exilierte europäische Monarchen und ihre Kinder oder irgend so ein unmögliches Gesabbel. Ich sehe es Jahr für Jahr. Meinetwegen ein Chemiker, der ans College kommt. Man setzt großeHoffnungen in seine Zukunft. Nobelpreise und wer weiß was sonst noch. Er selbst hat die höchsten Bestrebungen. Aber noch vor seinen Abschlußprüfungen ist er eingesperrt in den Vertrag für eine Lebensstelle, bei der er synthetische, föhrenfrische, biologische Seifenpulver-Wohlgerüche für eine Waschmittelgesellschaft zusammenbraut. Adrian, jemand ist hinter unseren besten Köpfen her! Jemand hält sie davon ab, ihr volles Potential zu verwirklichen. Diese Organisation, von der ich Ihnen erzählt habe, verweigert ihnen die Möglichkeit, zu wachsen und sich zu entfalten. Eine Universitätsbildung sollte breit und allgemein sein. Aber diese Studenten werden
trainiert
, nicht
gebildet
. Man mästet sie wie Straßburger Gänse. Getreidebrei wird ihnen reingezwungen, so daß nur ein Teil ihres Gehirns fett werden kann. Ihr ganzer Verstand wird ignoriert, damit sein vermarktbarer Teil profitiert. Auf diese Weise haben sie mein Patenkind Christopher überredet, Ingenieurwissenschaften zu studieren statt Mathematik.«
»Wie lange geht das schon so?«
»Ich weiß nicht, wie lange. Jahre, nehme ich an. Wirklich aufgefallen ist es mir zum ersten Mal vor fünfzehn oder zwanzig Jahren. Aber es wird immer schlimmer. Immer mehr brillante Studenten werden von einer Arbeit abgehalten, die von echtem Nutzen für ihr Land und die Menschheit sein könnte. Sie kommen in Legebatterien. Der junge Christopher Daly ist nur einer unter Tausenden.«
»Mein Gott!« sagte Adrian. »Wissen Sie, wer dahintersteckt? Wir müssen sie aufhalten!«
»Es ist eine Verschwörung aus Industriellen, gewissen hochrangigen Ökonomen und Regierungsmitgliedern aller politischen Schattierungen«, sagte Trefusis.
»Aber wie können wir das vermeiden? Und was hat das mit Salzburg zu tun?«
Trefusis sah zu Adrian hinüber, mit einem Ausdruck schwerer Besorgnis. Plötzlich lachte er explosionsartig. Den Kopf hin und her schüttelnd, schnaubte er und schlug aufs Lenkrad ein. »Ach, Adrian, ich bin wirklich grausam! Ich bin niederträchtig, ungezogen, schrecklich und schändlich. Bitte verzeihen Sie mir.«
»Was ist denn so komisch?«
»Sie dummer,
dummer
Junge. Was ich eben beschrieben habe, ist die Art und Weise, wie die Welt funktioniert! Es ist keine Verschwörung. Man nennt es die moderne westliche Zivilisation.«
»W-wie meinen Sie das?«
»
Natürlich
werden unsere besten Gehirne zu Industrie, Werbebranche, Journalismus und dem ganzen Rest verführt.
Natürlich
passen die Universitäten sich kommerziellen Interessen an. Es ist bedauerlich, und wir können wenig dagegen tun. Aber ich glaube, nur ein Marxist würde es eine internationale Verschwörung nennen.«
»Aber Sie haben gesagt, eine Organisation … Sie haben mir erzählt, eine bestimmte Organisation hätte Christopher ein Stipendium angeboten.«
»Der Staat, Adrian. Ein staatliches Stipendium. Und als Gegenleistung hofft der Staat, er werde nach seinem Abschluß etwas Produktives beginnen. Er wird vom Geld angespornt werden, von den Rekrutierungsmechanismen und dem allgemeinen Drang und Tenor der Zeiten. Das ist alles.«
Adrian kochte eine Zeitlang schweigend vor sich hin.
»Und das hat nichts damit zu tun, weswegen wir nach Salzburg fahren?«
»Überhaupt nichts.«
»Sie sind unmöglich, wissen Sie das?«
»Vielleicht unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Außerdem, wenn das, was ich beschrieben habe, auch keine bewußte Intrige ist, passiert es dennoch und ist äußerst verdrießlich.«
»Sie wollen mir also immer noch nicht mitteilen, was wir in Wirklichkeit hier machen?«
»Alles zu seiner Zeit«, sagte Trefusis. »Jetzt bekommt der Kardinal Durst;
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