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Der Lügner

Der Lügner

Titel: Der Lügner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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Gans auch heißen mag, wenn sie jung ist.«
    »Küken? Gänschen?«
    »Schon möglich. Sie nehmen ein Straßburger Gänsejunges, Küken oder Gänschen und füttern es mit bestem Getreide in zermanschtem Brei.«
    »Man mästet sie, meinen Sie?«
    »Genau, aber dieser Brei, sehen Sie, befindet sich in einem Beutel.«
    »Einem Beutel?«
    »Genau. Einem Beutel oder Sack. Der Beutel oder Sack hat am engeren Ende eine Art Mundstück oder Auswuchs, der der Gans den Schlund oder die Kehle hinabgezwängt wird. Der Beutel oder Sack wird dann zusammengedrückt oder komprimiert und das Mahl oder Futter auf diese Weise in den Kropf oder Magen der Kreatur oder des Tieres eingeführt oder gestopft.«
    »Warum läßt man es sich nicht normal ernähren?«
    »Weil diese Prozedur an jedem einzelnen Tag im gesamten Leben des armen Tieres mehrmals vorgenommen wird. Es wird im großen Maßstab zwangsernährt. Zwangsernährt, bis es so vollgestopft und fett ist, daß es sich nicht mehr bewegen kann. Seine Leber wird schwammig und schwillt an. Tatsächlich ideal, um kurz angebraten und mit einem Glas vollmundigem Montrachet oder fettem, butterigem Corton Charlemagne serviert zu werden.«
    »Das ist ja ekelhaft!« sagte Adrian. »Warum haben Sie mir das nicht vorher gesagt?«
    »Ich wollte, daß Sie es probieren. Es ist einer der größten Leckerbissen, die der Mensch kennt. War es Sydney Smith, der einen Freund hatte, dessen Vorstellung vom Himmel darin bestand, es zum Klang von Trompeten zu verzehren? Wie die meisten unsrer Genüsse wurzelt es jedoch im Leid; gründet in einem unnatürlichen, geradezu perversen Prozeß.«
    Adrians Gehirn raste weiter und versuchte, die Relevanz des Ganzen für ihre Situation zu erkennen. Vor seinem Geiste ließ er eine Handlung ablaufen. Ein europäisches Kartell von
foie-gras
-Herstellern, entschlossen, den gemeinsamenMarkt von der Ächtung ihres Produktes abzuhalten. Zum Töten bereit, um zu beschützen, was sie als ihr gottgegebenes Recht ansahen: Gänse zu foltern für die Tafeln der Reichen. Das war doch unmöglich. So etwas gab es doch einfach nicht. Und selbst wenn es das gab, war es kaum eine Angelegenheit, an der Trefusis Interesse haben konnte.
    »Und was genau …?«
    »Diese Zwangsernährung von Gänsen ist eine Metapher, die ich Sie im Auge zu halten bitte, während ich Ihnen etwas anderes erzähle … ah …
le poisson est univé

    Trefusis strahlte, als zwei große Gedecke, jedes mit einer enormen silbernen
cloche
bedeckt, vor ihnen abgesetzt wurden. Der Ober sah mit einem erwartungsvollen Lächeln zwischen Adrian und Trefusis hin und her und hob – ihrer Aufmerksamkeit jetzt sicher – mit äußerstem Schwung die cloches ab, wodurch er Wolken delikaten Fischdunstes freiließ.
    »
Voilà! Bon appetit, messieurs!
«
    »Bezeichnend, daß das, was wir John Dory nennen, bei den Franzosen Saint Pierre heißt, bei den Italienern San Pietro und bei den Spaniern San Pedro.«
    »Wer war John Dory, was glauben Sie?«
    »Ach, ich denke, das Dory stammt von
doré
, vergoldet oder golden. Natürlich nennen wir ihn manchmal auch Petersfisch, glaube ich.
Merci bien

    »
M’sieur!
« Der Ober verbeugte sich elegant und stolzierte davon.
    »Wie dem nun auch sei«, sagte Donald Trefusis. »Vor einiger Zeit kontaktierte mich – so nennt man das doch, nicht wahr? – ein alter Freund, Tom Daly. Tom Daly war früher der Gartenaufseher von St. Matthew’s, und er warauch ein wunderbarer Gärtner, mit einem so grünen Daumen wie … wie …«
    »Wie ein Marsianer mit Blutvergiftung?«
    »Wenn Sie so wollen. 1962 begab es sich, daß Tom mit einer Eileen Bishop sich verschlang, umwand und verflocht. Wie es so kommt, bestäubte er sie, und dem entsproß ein feiner junger Sohn. In einer einfachen, aber ergreifenden Zeremonie zu Little St. Mary’s noch im selben Jahr willigte ich ein, der Welt, dem Fleisch und dem Teufel zu entsagen, um meine Seele zu reinigen in Bereitschaft für die Aufgabe, Taufpate ihrer frisch erblühten Knospe zu werden, die sie auf den Namen Christopher Donald Henry zu taufen sich entschieden hatten.«
    »Dieser Gärtner heiratete, bekam einen Sohn, und Sie sind sein Pate?«
    »Ich glaube, das sagte ich gerade«, sagte Trefusis. »1976 dann verließ Tom zu unser alle Bestürzung das College, um in West Norfolk die Stelle des leitenden Landkreisgärtners anzunehmen. Wenn Sie das nächste Mal das fröhliche Toben der Tulpen an einem Kreisverkehr in King’s Lynn bewundern oder den

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