Der Lüster - Roman
Toilette, in der es stank, nahm den kleinen Hut ab und begann sich sinnlos das Gesicht zu waschen, sich zu schminken, sich zu frisieren; sie richtete ihre Kleidung, betrog den Augenblick. Sie war im Begriff, Lippenstift aufzutragen, als der Zug sich in Bewegung setzte und ihrem Arm einen Stoß gab, mit einem heftigen Strich fuhr der Lippenstift über die blasse niedergeschlagene Wange, auf Wiedersehen! Das Herz zog sich zusammen, atmete nurmehr an der Oberfläche, das Gesicht verdunkelt und tot. Das Schlimmste war vorbei. Sie trat schwankend auf den Korridor hinaus, setzte sich unvermittelt unter all die unbekannten Leute. Dann ließ sie den Blick durch den Zug schweifen, Staub in den Augen, die Lippen ausgetrocknet von Wasser und Seife. Ein blondes Kind weinte auf dem Schoß einer jungen, dicken Frau. Die letzte Helligkeit, die durch die Scheibe schnitt, bebte unter den dumpfen Schlägen; ihr Herz verhärtete sich klein und geschwärzt. Sie stand auf, um einen Kaffee zu trinken, und strich den Rock glatt, der bereits zerknittert war; ihre Brust zog sich zusammen, rau wie ein gerötetes, vom Staub trockenes Auge. Eine heisere, erschrockene Beklommenheit stieß sie mit jedem Ruckeln des Zugs zum Ende des Waggons, während sie ihren Körper vorwärtszwang, um den Speisewagen zu erreichen – der Pfiff klang plötzlich und langgezogen, die Lok ruckelte noch eiliger, nein, mein Gott, nein, sagte sie sich in vollständiger, hartnäckiger Verzweiflung, sah dabei kühl nach vorne und schob sich mit Mühe, Stück für Stück, durch den dahinrasenden Zug; während es nahe dem Herzen so war, als hätte sie einen schwarzen, unbeweglichen Gegenstand verschluckt. Ein dünnes Kind weinte im Speisewagen vor einem Glas Milch, immer, immer. Auch damals auf dem Weg in die Stadt, den wachen Körper auf der Sitzkante, das Herz schwindelig vor Neugier und Jugend, hatte ein Kind geweint; und ein aufgeregter Geruch nach verschiedenen Speisen, Parfüm, Kohle und Zigaretten verschaffte ihren Augen eine rätselhafte und schweigsame Pause; das ernste, empfindsame Gesicht unter den langen Bändern des Huts, allzu kindlich bei einer jungen Frau von heute, wie sie eine war, einige feine Falten. Jetzt aber war es, als hätte sie einen widerstrebenden Funken geschluckt, die Augen glühten. Sie erinnerte sich an die Reise in die Stadt – an jenem Tag ging ein Impuls von dem Hauch aus heißer Kohle und feuchtem Gras aus und von dem steten Lärm, der sie zum Abenteuer hinzustoßen schien, zum Abenteuer, zum Abenteuer; unter den alten Bändern ihres Huts schluckte sie fröhlich den Staub und beobachtete die aufgeregte Müdigkeit der Mitreisenden, die sich wohlwollend hin und her rütteln ließen, und die hellen, großen Augen der Frauen; es war wie bei einem Picknick. Der Krach der Räder machte damals jedes Gespräch unmöglich, und die Reisenden sahen einander an, getrennt durch die graue Geräuschkulisse; und es war gut wie in einem Zuhause, sie selbst neben Daniel, der Zeitungen las, das Herz versteckend. Es war gut wie in einem Zuhause. Die Leute aßen belegte Brote, ohne sich in den Sitzen zurückzulehnen, so wie sie selbst, sie kauten und waren damit beschäftigt, die Entfernung abzuschätzen. Aber jetzt … jetzt kam der Kaffee, ein Brötchen mit Butter, und sie war allein. Sie fühlte sich nicht unglücklich. In erster Linie hatte sie die hochmütige und kalte Empfindung, dass niemand sie dem entreißen könnte, was sie gelebt hatte; sie schenkte dem, was ablief, eine gewisse innige, dunkle Aufmerksamkeit, später würde es vielleicht unmöglich sein, sich daran zu erinnern, aber es wäre doch Teil ihrer Geschichte. Sie sah durchs Fenster: Ein Wirtshaus, vereinzelt inmitten des dünnen Gestrüpps, ein Bau aus Ziegeln und Kalk, kündigte ein Dorf an; da waren gerade einmal zwei Türen, ein Hund, der am Boden lag und Fliegen verscheuchte, und alles ging geschwind vorüber, die Ortschaft selbst in Schatten, in schnellen, langen, unfertigen Strichen. Der Zug fuhr weiter über die Strecke, die man quer durch den dunklen Wald gezogen hatte, nass vom letzten Regen; der Geruch nach süßlichem Wasser, die Gleise funkelten gewunden, verschwanden unter dem Zug. Sie begann daran zu denken, dass sie eigentlich auch hätte nicht fahren können; und die Vorstellung, dass sie in diesem Moment in der Stadt wäre und auf den folgenden Tag warten würde, um Vicente zu sehen, weckte einen neuen unterdrückten Schrei in ihrem Herzen. Nie hatte sie eine
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