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Der Lüster - Roman

Der Lüster - Roman

Titel: Der Lüster - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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gehörten diese Seifenblasen ihr, ihr, die sie klein auf der Türschwelle stand. So war es. Und es war ihr auch zueigen, dass sie den Klageruf von Tieren nachahmen konnte, manchmal von Tieren, die es nicht gab, aber hätte geben können. Es waren zurückgehaltene Rufe, rund in der Kehle, heulend, schmerzerfüllt und ziemlich klein. Außerdem konnte sie spitze und sanfte Schreie ausstoßen wie von Vieh, das sich verlaufen hat. Doch plötzlich stürzten die Dinge in eine Wirklichkeit, die Widerstand bot. Der Vater fand sie eines Tages weinend vor; sie war noch fast ein kleines Mädchen, das zerstreut den Wolken zusah, die sich bewegten. Verdutzt fragte er:
    »Warum weinst du denn? Warum?«
    Da wurde alles schwierig, er war gekommen und ermüdete, so eine Anstrengung. Und da sie nicht wusste, was sie entgegnen sollte, erfand sie:
    »Ich und Daniel, wir können nicht immer hier leben …«
    Schreckensstarr hörte sie der Vater, als hörte er einen Baum sprechen. Und da erfüllte ihn in einem eigentümlichen, plötzlichen Begreifen, das ihr Angst machte, weil sie selbst nichts verstanden hatte, ein Zorn, der ihn rot und angespannt werden ließ, in seiner Erschütterung fast gefährlich.
    »Das ist gelogen, verrückt ist das! Du bist verrückt! Verrückt!«
    Da sie ihn überrascht ansah, das junge Gesicht schon glänzend ohne Tränen, starrte er mit gerunzelten Brauen zurück und schloss etwas ruhiger, beinahe gleichgültig die Schultern hebend:
    »Du bist verrückt.«
    Daniel war ein merkwürdiger Junge, empfindsam und stolz, schwer zu lieben. Er war außerstande, etwas hinter Ausreden zu verstecken. Selbst wenn er in Träumereien verfiel, waren diese bedachtsam, aus Vertrautem gemacht; ihm fehlte der Mut, etwas zu erfinden, und es war stets sie, die mit erstaunlicher Leichtigkeit für beide log; er war aufrichtig und hart, verabscheute, was er nicht sehen konnte. Mit seinen klaren, trockenen Augen lebte er wie allein mit Virgínia auf der Granja. Seit die Schwester geboren war, hatte er sie an sich genommen, und insgeheim gehörte sie nur ihm. Noch als sie sehr klein war, die langen, schmutzigen Haare hingen ihr in die Augen, die kurzen Beine zögerten über den nackten Füßen, da hielt sie sich mit einer Hand an Daniels Hosenboden fest, und der Bruder stieg, das Gesicht verbrannt und ohne Zärtlichkeit, mit sicheren Augen und beharrlichen Bewegungen die Hänge hoch, als spürte er weder Virgínias Gewicht noch die widerstrebende Steigung oder den Wind, der ihm fest und kalt entgegenblies. Dabei liebte er sie nicht einmal, aber sie war sanft und dumm, mit Leichtigkeit zu gleich welchem Gedanken zu führen. Und selbst in den Zeiten, in denen er sich verschloss, streng und rücksichtslos wurde und ihr Befehle erteilte, gehorchte sie, denn sie fühlte ihn sich nahe, um sie besorgt – er war das vollkommenste Wesen, das sie kannte. Dann verbrachte sie die Tage in seltsamer Hochstimmung, wie der Wind, aufragend, ruhig und still. Mein Gott, sie wusste nicht, was sie dachte, sie hatte nur Glut, sonst nichts, nicht einmal einen Grund. Und er – er hatte nur Zorn, sonst nichts, nicht einmal einen Grund. Trotz allem trat Daniel mit einer gewissen Zurückhaltung auf, er ließ jene unbeholfene und achtsame Verzweiflung in ihr leben, eine akute Schwäche, eine Fähigkeit, durch die Nase wahrzunehmen, inmitten der Stille vorauszuahnen, tief zu leben, ganz ohne Bewegung. Und vor lauter Eingeschlossensein in ihrem Zimmer in Gefahr zu schweben. Ja, ja, allmählich, leise, entwickelte sich aus ihrer Unwissenheit die Vorstellung, dass sie über ein Leben verfügte. Es war eine Empfindung ohne Gedanken davor oder danach, plötzlich, vollständig und eins, die sich durch Alter oder Weisheit nicht ergänzen oder verändern lassen würde. Es war nicht wie leben, leben und erst dann wissen, dass sie ein Leben besaß, sondern wie ein Schauen und Sehen im selben Moment. Die Empfindung kam nicht von den gegenwärtigen oder vergangenen Umständen, sondern aus ihr selbst wie eine Bewegung. Und falls sie jung starb oder sich einschloss, wäre die Ankündigung, über ein Leben zu verfügen, genauso viel wert wie gelebt zu haben. Auch deshalb war sie vielleicht etwas müde, seit jeher; manchmal hielt sie sich nur durch eine unmerkliche Anstrengung über Wasser. Und vor allem war sie schon immer ernst gewesen und falsch.
    Am Nachmittag zogen sie sich saubere Kleidung an, kämmten sich die Haare feucht und gingen mit dem Vater in den

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