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Der Lüster - Roman

Der Lüster - Roman

Titel: Der Lüster - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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Schreibwarenladen. Es war ein guter Ort zum Verweilen, mit einer Tür und einem Fenster, im Inneren fast dunkel und angenehm. Verkauft wurden Bücher, Hefte, Heiligenfiguren und religiöse Medaillons. An jedem Geburtstag auf Granja Quieta war das Geschenk ein kleines Medaillon mit wechselnden Heiligen, im Allgemeinen demjenigen, den die Kundschaft von Brejo Alto am wenigsten nachfragte. Auch Postkarten mit sich küssenden Liebenden, mit Engeln und Cupido-Figuren und Schneelandschaften standen zum Verkauf. Esmeralda hatte eine davon mitgenommen, auf der ein junger Galan einem Mädchen eine Blume darbot, das, die Hand an der Stirn, vor sich hin sinnierte, den Ellbogen frei in der Luft. Den besten Absatz jedoch fanden religiöse Artikel. Die Straße, in der sich der Schreibwarenladen befand, führte eng und mühselig zur Bom-Jesus-Kirche hoch, deren weißer Innenhof durch verrostete Gitterstäbe abgegrenzt wurde. Wenn man aus der Kirche kam, kaufte man Medaillons. Während Daniel und Virgínia auf den Vater warteten, betraten sie die Kirche. Sie war kurz und sauber, dunkel; die Außenwand war weiß gekalkt. Drinnen brannte ein Öllämpchen, und ein düsteres, einsames Violett wurde von alten Teppichen erdrückt. »Bitte für uns Sünder«, sagten sie schnell, schauten in das kleine Weihwasserbecken und gingen rasch wieder hinaus, die Schritte sacht auf dem feuchten Ziegelboden. Von ferne war ein Donnerschlag zu hören. Draußen war es schon Abend geworden, doch der Vater hatte den Laden voller Männer, die über Geschäfte redeten. Virgínia und Daniel gingen abermals hinaus und spazierten durch die fast lichtlosen Straßen; sie sahen durch das eine oder andere Fenster, das jemand vergessen hatte zu schließen, ins staubige Innere der Häuser; die Möbel, die kleinen, alten, konzentrierten Krüge wirkten wie lebendige Materie, erwartungsvoll wie Bäume. Die engen Gassen verliefen leicht abschüssig oder ansteigend, zusammen mit ihnen. Zwischen den Steinen hatte die Stadtverwaltung einiges an Unkraut vergessen. In einem bestimmten Moment nahmen die Dinge eine intensive, ungewisse Farbe an, vielleicht bläulich, ohne dass die Luft, die ihnen Ton und Durchsichtigkeit verlieh, überhaupt da zu sein und sie zu berühren schien. Ihre Arme waren durchscheinend und hell, das Gesicht vage und auf sanfte Weise wach. Die niedrigen Häuser schmiegten sich eng an den Gehsteig, sie standen dicht an dicht, mit kleinen eisernen Balkonen ohne Vorsprung. Die rosafarbenen Stadthäuser waren breit und flach, die Scheiben bunt. Müde und hungrig gingen die beiden bis zum Park. Sie setzten sich auf eine Bank. Durch den feinen Nebel im Park entzündeten die Laternen bereits runde Lichter, gelb und erschrocken. Über der ruhigen, baumlosen Fläche herrschte eine überraschende Stille, ein schlichtes, bebendes Geräusch, gelassen blinkend. Ein neuer Donnerschlag grollte dumpf in der Ferne. Ein Frosch sprang aus dem Schatten, vergoldete sich für einen Augenblick in der Klarheit und tauchte dann ins Dunkel der Sträucher. Beim Hinsehen wurde Daniel Virgínias plötzlich akut überdrüssig, während ihr vor Schläfrigkeit der Kopf auf die Brust sank. Er stand auf und setzte sich woanders hin, ohne dass sie sich beschwerte. Dort drüben versprühte der Springbrunnen Wasser, immer neu und weich, geräuschvoll. Der Wind trug den Geruch der Ranken herbei, die den Boden überwucherten, die Kühle des Wassers verbreitete sich tropfenweise in der Luft. Er begann heftig an nichts zu denken. Ein Wunsch zu töten, zu erobern, während die langsame rote Ameise auf langen Beinen über die Zementbank lief. Daniel wusste nicht, was er tun sollte, und das feuchte Geräusch des Wassers erfrischte seinen gewaltigen Geist. Ein großer Wunsch wie nach Ironie ergriff von ihm Besitz, und er war wirklich schon bald fünfzehn Jahre alt. Er packte einen langen Grashalm, riss ihn ab, kaute darauf herum und schluckte ihn dann herausfordernd herunter. Aber das war zu wenig. Ihm schien, er müsse als Antwort sterben, ja, als Antwort. Er brauchte seinen Jähzorn zum Leben, er machte ihn beredsam. Während er drangvoll atmete, spürte er das harte und unbeugsame Grün des Lebens im Herzen – die neue Stimmung gab ihm einen Gedanken ein: Er würde sie erschrecken, ihr sagen, er werde gleich sterben! Der kleine Impuls verschaffte ihm ein eiligeres Leben, und Freude trat in seine Augen. Er kehrte zu der Bank zurück, auf der Virgínia saß und die schläfrigen Augen in den

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