Der Lüster - Roman
sich und verbrannte Räucherstäbchen im Zimmer – und so sehr ging sie in ihren Vorbereitungen auf, dass die Zeit sich anhäufte, während sie glaubte, Minuten zu leben. Sie trug mit Wollust ihre weibliche Kleidung; die Brüste verbargen sich wie Edelsteine zwischen Rüschen und Faltenwurf, die stämmigen, blassen Beine sprossen unter langen Röcken hervor. Sie betrachtete überrascht die nackten Kleider, die glatten Seidenstoffe und das kurze Haar von Virgínia.
»Du hast ja kaum was gelernt in der Stadt, Virgínia«, sagte sie zu ihr.
Mit zunehmendem Alter schien sie in ihren wahren Körper gestürzt zu sein, und Virgínia erriet, wie die Männer sie begehren konnten. Vicente, ja, Vicente hätte sich umgedreht, um sie genauer anzusehen, ohne zu merken, dass sein Gesicht plötzlich männlich und hart würde … – sie hatte ihn so oft an diesem Ausdruck erkannt auf der Straße. Warum hatte Esmeralda eigentlich nicht geheiratet? sie hob gleichgültig die Schultern. Das Gesicht, das oben rund war, lief in einer Spitze aus, die etwas köstlich Weibliches hatte, fast abstoßend für die andere, schlicht deshalb, weil es so anziehend war und so für die Männer bestimmt. Und sie wies auch noch andere Spuren auf. Einen winzigen Mund, geschwungen und hart, fast am Kinn wie ein ungenutztes Spielzeug, einen blassen Mund, immer lebendig, leicht vorstehende schwarze Augen. Etwas in ihr flößte einem den Wunsch ein, sie zu treten und zu misshandeln, auch wenn man nicht wütend war. Um die Augen herum feine Falten, die Haut von furchtsamer Farbe, obwohl sie gereift war, fast gargekocht. Und jene Kraft, die darin pulsierte mit dem Hochmut einer Frau, die die einzige ist. Daniel tat fast nichts, überließ dem Vater, sich um den Laden zu kümmern. Er war sonnengegerbt und jagte, schwamm im Fluss, er hatte starke, glänzende Muskeln bekommen, indem er wild und ruhig vom eigenen Körper lebte. Sie beobachtete ihn von ferne; wie sich ihm nähern? Träge und müde sagte sie kleine, nutzlose Dinge zu ihm, sie begegneten sich kaum. Er schien Ruth nicht zu vermissen, von der im Übrigen niemand sprach. In vier Monaten sollte sie allerdings zurückkommen, um ein halbes Jahr an Daniels Seite zu verbringen. Virgínia schaffte es, ihrem Bruder einige Momente abzuringen; sie gingen auf den Balkon, stützten sich aufs Geländer, schweigend, distanziert.
»Daniel«, sagte sie.
Sie hätte gerne über Vicente gesprochen.
»Hm?«, fragte er.
Er hatte noch nie fragen und zuhören können, so war das. Sie dachte: Wir haben nichts miteinander zu tun, nichts. Und in ruhiger Teilnahmslosigkeit blickte sie in die durchsichtige Luft. Es war schon fast Abend.
»Hattest du es gut?«, fragte sie ihn schließlich.
Er warf ihr einen schnellen Blick zu und antwortete nicht. Sie füllte sich mit einem Gefühl, das schwierig und kalt war, ihr Blick fiel auf seinen weißen Anzug, so gestärkt und eng an den Schultern, das Haar sehr glatt, sie fragte nochmal, aus reiner Unbeholfenheit:
»Hattest du es gut?«
»Zugenommen hast du ja, aber sonst bist du immer noch dieselbe Virgínia: so gewöhnlich und so ohne jedes Verständnis, dass es einem leid tut. Scher dich doch zum Teufel, Kindchen.«
Sie verharrten einen Augenblick nachdenklich. Er sagte schließlich:
»Ich gehe raus.«
Sie blieb stehen, über die Brüstung gelehnt; sie sah ihn aus dem Haus gehen, zuckte mit den Schultern. Er ging hart und sauber. Er ging und ging, ein Schritt folgte dem anderen in der Stille der Straße, über feuchtes, dichtes Laub. Dann schlug er einen Feldweg ein; ohne Eile lief er weiter, weiter. Das Haus war außer Sicht, er ging. Er nahm eine Abkürzung, überquerte die neue Straße, erreichte die ersten Häuser von Brejo Alto. Auf der engen, grasbewachsenen Gasse pickten einige Hennen im Dämmerlicht am Boden herum. Er ging weiter, trat aufs trockene Pflaster. Die dunkle abschüssige Straße öffnete sich zu einem kleinen Stück Fluss, leuchtend, farblos und kalt; sämtlicher Müll von Brejo Alto häufte sich schwarz an den Ufern; er steckte die Hände in die Taschen, kniff die Augen zusammen, wie gekränkt von der Offensichtlichkeit der Dinge. Nun befand er sich auf einem Platz mit hohen Mauern, ruhig und voller klarer Luft wie der Innenhof eines Klosters. Um diese Stunde wurden die Fenster geschlossen, das eine oder andere stand noch einen Spalt weit offen, und man sah auf der Fensterbank ein Kissen, das noch niemand in die Wohnung geholt hatte. Brejo Alto
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