Der Lüster - Roman
auf Gegenstände, auf Fragen, die den Hof betrafen oder den Schreibwarenladen. Die Gewohnheit erlaubte ihnen, Eindrücke mit einem raschen Blick auszutauschen, mit einem halben Lächeln, das niemals vordrang in die Tiefe des Tages. Vielleicht wusste auch jeder von ihnen, dass er sich einzig durch Einsamkeit befreien könnte, indem er seine eigenen Gedanken schüfe, etwas Inniges und Erneuertes; doch diese individuelle Rettung wäre das Verderben aller. Es war, als vermieden sie inzwischen ein wacheres Empfinden, weil sie es nicht hätten vermitteln können. Und um weiter die erschrockene Sicherheit zu haben, deren Entbehrlichkeit sie nicht begriffen, versammelten sie sich düster, unbewusst.
Virgínia versuchte, sich mit Esmeralda zu unterhalten; sie wollte ihr erzählen, was Vicente – ein Mann – zu ihr gesagt hatte. Da es schwierig war, ein Lob wiederzugeben, und sie sich schämte vor dem begierigen und harten Blick der Schwester, fügte sie hastig, widerwillig hinzu: Also, ich wiederhole ja nur, was gesagt wurde … Esmeralda pflichtete ihr rasch bei, voller Ungeduld und Neugier: Natürlich, du sagst doch nur die Wahrheit … Obwohl sie sich auf einmal der eigenen Bewegungen sehr bewusst war, nickte Virgínia mit einer demütigen, bescheidenen Geste, die ihr gleich darauf mit vor Ironie kalten Fingern das überraschte Herz umklammerte. Danach war es nicht mehr möglich, weiterzusprechen, denn während ihre Worte vorwärtsstolperten, war sie in einem Unwillen gegen sich selbst erstarrt, die Lächerlichkeit dieser so intimen wie unterwürfigen Bewegung hing ihr nach. Als wäre Esmeralda daran schuld, mied sie für den Rest des Tages ihre Gesellschaft, voller Abscheu und Unwohlsein. In der Nacht wurde sie von merkwürdigen Geräuschen geweckt, die aus der Küche kamen. Sie stand auf und ging die Treppe hinunter. Esmeralda hatte Wasser auf dem Herd und eine Wärmflasche in der Hand.
»Für Mama?«, fragte Virgínia, während sie den Morgenmantel zuknöpfte.
»Nein.«
»Dann fehlt dir selbst was?«
Esmeralda antwortete nicht sofort, sie verzog den Mund, eine plötzliche Gereiztheit unterdrückend, als würde Virgínia sie zu einer Antwort zwingen.
»Es ist nichts, mich zwickt nur irgendwas«, sagte sie missmutig und trocken.
Virgínia musterte sie kühl. Sie hätte gerne nachgefragt, aber sie scheute sich davor. Esmeralda hatte sich schon immer in der Rolle derjenigen gefallen, die von anderen unter Druck gesetzt wurde. Sie wollte schon gehen, als sie sah, wie ihre Schwester fast in einem Hilferuf den Kopf drehte, die Lippen zusammenkniff und dabei den Blick abwandte – Virgínia sollte sie ruhig leiden sehen.
»Ja, was ist denn nun los?«, fragte Virgínia.
Esmeralda riss die Augen auf und betrachtete sie in düsterer Wut:
»Gar nichts, zum Teufel nochmal.«
So spürte Virgínia, dass sie in die Familie eingetreten war. Sie seufzte.
»Na, du weinst doch fast …«, sagte sie.
»Ja, was erwartest du denn? soll ich vielleicht lachen? Ein tolles Leben habe ich, nicht wahr? da ist einem wirklich zum Lachen zumute«, sagte sie mit einem harten Lächeln. »Oder soll ich mir Geschichten von irgendwelchen Vicente-Deppen anhören? Ein tolles Leben habe ich.«
Virgínia lief rot an vor Überraschung, zögerte einen Augenblick.
»Wer hat denn ein besseres?«, sagte sie unbehaglich, ein wenig durcheinander und plötzlich schläfrig geworden.
»Der Herr Erzbischof. Lass mich einfach in Ruhe, scher dich zur Hölle.«
»Scher du dich doch zur Hölle. Du zerfleischst dich die ganze Zeit selbst, glaubst du, ich merke das nicht? glaubst du, ich bin blind? du quälst die arme Mutter und die anderen, machst allen Vorwürfe, nagst an dir herum wie ein Wurm … Lass du mich doch in Ruhe. Ich hatte mit deinem Leben noch nie was zu tun. Und du mit meinem auch nicht.«
»Die arme Mutter … Tut sie dir leid, ja?«
Sie wechselten einen Blick ohne Worte, ohne Bedeutung, die man übersetzen könnte. Von kalter Neugier, von Hass kurz vor dem Ausbruch, von gegenseitiger Unterstützung und Lust.
»So viele Opfer habe ich gebracht, und das ist der Lohn dafür«, sagte Esmeralda.
»Du hast Opfer gebracht, weil es dein Naturell ist, Opfer zu bringen, so wie es mein und Daniels Naturell ist, nicht zu leiden. Ich habe nie leiden müssen, weil ich das nicht wollte. Aber du brauchst eben eine Rechtfertigung für deine Angst …«
»Und wenn es so wäre, welche Schuld hätte ich daran?«, brach es aus Esmeralda heraus,
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