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Der Lüster - Roman

Der Lüster - Roman

Titel: Der Lüster - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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Schmerzensschrei, der fortgerissen wurde. Wasser glänzte zuweilen still draußen auf und verschwand sogleich für immer, bis ans Ende ihres Lebens. Sie trieb in den tiefen Wogen des Schlafs, die Sinne entspannt und verloren. Selten, wie der lautlose Strich eines Kometen, kam sie gelassen aus den Wellen hoch, zur Oberfläche, nach oben getrieben von einem einfachen Impuls, eben davon, dass eine Kraft fehlte, die dazu angeregt hätte, die Lider zu öffnen. Leicht wach geworden, schwebte sie fernab der Welt, schwankte über der eigenen Schläfrigkeit, umgeben von dem dunklen Moment, der vergangen war, und demjenigen, der sich bereits abzeichnete; wach zu sein war also aus demselben Stoff wie das Schlafen, allerdings geläutert zu einem einzigen Schleier, und sie sah durch ihn hindurch, schlafwandelnd und zahm. Während die lange Sekunde anhielt, dachte sie nach, und ihre Hellsichtigkeit war nichts als die rohe Klarheit des Mondscheins; aber sie wusste nicht, was sie dachte; sie dachte so, wie eine Linie von einem Punkt ausgeht und ihn verlängert, dachte wie ein Vogel, der einfach nur fliegt, bloße Richtung, rein; hätte sie in die farblose Leere geschaut, sie hätte nichts gesehen, denn da war nichts, was man hätte sehen können, aber sie hätte geschaut und wahrgenommen. So schlief sie andersartig an Tagen der Verwirrung und Qual; sie konzentrierte sich dann auf den Schlaf, als würde sie mit einer Lanze gestochen und zöge ihr Dasein zusammen, so dass das Wachen leer blieb. Viel von ihrer Vergangenheit hatte sich nicht am helllichten Tag ereignet, sondern in den langsamen Bewegungen des Traums, auch wenn sie sich nur selten daran erinnern konnte. Sie hörte gedämpfte Geräusche von Gepäck und von Schritten, sie begriff, dass sie geschlafen hatte. Es war früher Morgen, die Nacht am Vergehen; ein nebliges Licht hing als runder Schimmer über den Dingen. Durch die geschlossene Scheibe sah sie, dass die Sonne noch nicht aufgegangen war, doch sie spürte die Frische und das neue Leben, die fein an jedem Blatt erbebten. Sie setzte sich auf das Bett, verschob das dicke Glas, und eine plötzliche, fröhliche Kälte umgab sie; ihr war nicht klar gewesen, dass die Nacht so völlig vergangen war. Sie bürstete sich die strähnigen Haare, stieg vom Bett, um etwas zu sich zu nehmen. Zu ihrer Erleichterung war die Blinde weg. Sie trank Kaffee mit Staub, kostete dunkles, öliges Süßgebäck. Ein dicker Mann betrachtete sie aus tiefliegenden Augen, das Kinn auf die Brust gestützt. Sie trank die lauwarme Flüssigkeit; sie mochte traurig sein, aber in diesem Augenblick hatte sie das feste Gefühl, von ihrer eigenen Traurigkeit nicht leben zu können oder von ihrer Freude oder auch nur von dem, was ihr geschah; wovon dann? sie rutschte unruhig und aufmerksam auf dem Sitz umher, als suchte sie eine Haltung, um zu leben. Schließlich kam ihr erstmals in den Sinn, dass sie zu Hause alle sehen würde, dass sie in ihr Zimmer zurückkehren würde. Dass Daniel da sein würde, seine Frau… nein, die Frau verbrachte ihre sechs Monate bei den eigenen Eltern … Daniel, zusammen mit dem Vater im Schreibwarenladen? Später würde sie die Landschaft schön finden, und so begann sie, sie allmählich wahrzunehmen, leicht abgelenkt. Nach dem Frühstück rauchte sie, und während sie das tat, versuchte sie, sich zu konzentrieren, ihr Leben zu begreifen in diesem Augenblick. Sie beobachtete sich forschend – aber sie sah nichts als den grauen Himmel, so wie es ihr immer ging, wenn sie versuchte, tiefgründig zu denken. Sie schien die Verbindung zu suchen, die es geben musste zwischen jener Art Elfe, die sie bis in die frühe Jugend gewesen war, und der Frau mit dem besonnenen, festen und vorsichtigen Körper, die sie jetzt war. Sie würde ihre Heimat wiedersehen und fürchtete ein wenig nervös, ungeduldig und schüchtern das eigene Urteil. In früher Jugend habe ich meine Chance gehabt, wusste sie nicht, dass sie dachte, während sie den Rauch nach oben blies, mit der Sorgfalt und Unbeholfenheit, die sie im Umgang mit Zigaretten hatte. In der Kindheit habe ich meine Chance verpasst. Auch wenn ihr jetziger Körper ein tägliches Schicksal haben mochte. Sie erinnerte sich an Vicente mit einer erschrockenen Sehnsucht, die auch Überraschung war über die seltsame Ruhe und erfreute Erleichterung. Wer weiß, vielleicht würde sie gar nicht zurückkehren, überlegte sie schließlich. Ihr wurde endlich klar, dass dies ihr Eindruck gewesen war,

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