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Der Lüster - Roman

Der Lüster - Roman

Titel: Der Lüster - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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schien aus bleichem Stein gebaut, aus Schmiedeeisen und feuchtem Holz. Die Häuser neigten sich alt und geschwärzt wie nach einem Brand, die Gräser wuchsen büschelweise auf den schiefen Dächern – er ging weiter, glättete sich das feine, wohlfrisierte schwarze Haar, erreichte das Zentrum; aus den noch offenen Geschäften kam ein erdrückender Geruch wie von einem düsteren Ort, an dem alte Kakerlaken krabbeln, aschgrau und langsam, ein Geruch wie auf einem Getreidespeicher. Von den Telegrafendrähten hingen schmutzige Lappen und Papierfetzen. Sein Blick fiel auf die Kirche. Mit einer schnellen Bewegung zog er die Hände aus den Taschen; er drang ins feuchte Halbdunkel ein, trat mit vorsichtigen, gelassenen Füßen auf die Ziegel. Eine Kerze brannte unter dem Altar, an dem die Statue des heiligen Luís stand, dünn und feingliedrig. Er las: »Kein Papier auf den Boden werfen«, und da verließ er die Kirche wieder, die Hände in die Taschen versenkt; die Luft war noch klar; er ging weiter. Plötzlich sah er: Fünf Personen kamen auf ihn zu. Er blieb stehen, drückte sich an eine Mauer. Die Frau war hager, der Ausschnitt übertrieben weit, eine Schulter lugte durch einen Riss im Stoff; sie trug blaue Schlappen, und das Haar wütete als riesige Zeichnung um das dunkle schmale Gesicht. Sie hielt ein kleines Mädchen bei der Hand, das sich mit einem Stück Brot in der geschlossenen Faust hinter ihr her schleppte und quengelte. Vor der Mutter ging ein zweites Mädchen von etwa zwölf Jahren, hochgewachsen und ernst, in einem großen schwarzen Kleid und mit dem Gesicht einer Witwe. Ein drittes Kind, dünn und lebhaft, hüpfte strahlend bald hinter, bald vor der Mutter her, griff sich einen Stein, knabberte an einem Kanten Brot und wischte sich dabei mit dem Unterarm das lange Näschen, von dem der Rotz tropfte. Und ganz am Ende kam ein Junge von etwa neun Jahren, die Mütze tief in die Stirn gezogen, einen Ranzen über der Schulter. Fünf Leute, sagte er halblaut. Das kleine Mädchen hörte auf zu weinen, leckte sich die Butter von den Fingern. Der Junge kam näher, hob müde die Mütze. Er, das Mädchen in Schwarz und die Mutter schauten auf die Häuser, die Augen zusammengekniffen in der letzten dunstigen Helligkeit. Die Mutter packte die Hand der Kleinen, die sich auf den Boden gesetzt hatte, und zögerte. Die Häuser mit ihrem rosafarbenen Anstrich. Sie richtete den Blick auf eine Terrasse, prüfend. Eine dicke weiße Frau strickte im Schaukelstuhl. Der Junge mit der Mütze und das Mädchen in Schwarz sahen die Mutter an und warteten. Diese ließ die Augen weiter über die Fassaden gleiten, über die Frau, die sich in ihrem Schaukelstuhl wiegte. Dann zog sie das kleine Mädchen am Arm und sagte leise, mit belegter Stimme:
    »Nicht hier.«
    Warum denn nicht?, fragte sich Daniel verwirrt, fast zornig. Das Mädchen in Schwarz setzte sich wieder in Bewegung. Die Mutter zerrte die Kleine mit, die sich die schläfrigen Augen rieb. Der Junge rückte sich den Ranzen auf den Schultern zurecht, setzte die Mütze wieder auf, strich sie glatt. Das dünne, lebhafte Mädchen hüpfte los und lief ein Stück voraus, wartete dann wieder, um auf dem Brot herumzukauen, oder blieb in irgendeinem Hauseingang stehen. Die Gruppe wurde kleiner und verschwand. Er hatte gesehen, er hatte gesehen. Er seufzte tief, als würde er wach, und seine Augen hatten wirklich die blinde Leuchtkraft von Augen, die aus dem Schlaf zurückkehren. Eine schwache Laterne begann zu flackern in der farblosen, scharfen Luft der Dämmerung. Bevor er den Blick abwenden konnte, hörte er ein Geräusch vom Anfang der Straße. Er wandte sich um, sah zunächst jedoch nichts, weil eine zweite Gruppe näher kam, im Gegenlicht. Nach und nach wurde das Bild klarer, und mit einem unterdrückten Ausruf machte er zwei Soldaten aus, die einen Gefangenen vor sich stießen, hin und wieder hielten sie inne, um ihm ein paar Schläge zu versetzen. Die drei waren schon fast auf seiner Höhe angelangt, er presste sich an die Mauer. Ekel überkam ihn und füllte ihm den Mund mit einem Speichel, der an Blut erinnerte. Der Gefangene stolperte zwischen den beiden Soldaten weiter, seine geröteten Augen blinzelten, der Mund hing offen, das Gesicht trug die Abdrücke ihrer Hände. Daniel kauerte sich zusammen: Sie gingen an ihm vorüber, dem Gefangenen entfuhr ein Klagelaut, und einer der Soldaten versetzte ihm einen Faustschlag, dass er vorwärtstorkelte. Daniel kniff die Augen

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