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Der Lüster - Roman

Der Lüster - Roman

Titel: Der Lüster - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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dieser langsamen Abfolge ohne Hoffnung? warum lebte sie nicht ein für alle Mal …? Sie besänftigte sich auf der Suche – auf unklare Weise war das, was sich immer genau gleich blieb, durch die Augenblicke hindurch schon unwägbar anders – irgendwie rührte daher ihre unterdrückteste Hoffnung. Zutiefst versteckt und diskret schaukelte sie – und das war der Sinn eines Lebens auf die Sekunden hin, einatmend und ausatmend; man atmete nicht sofort alles, was zu atmen war, man lebte nicht ein für alle Mal, die Zeit war langsam, fremd für den Körper, man lebte von der Zeit. Und gerade ein Augenblick, der dem verlorenen Augenblick glich, würde ein Ende bringen. Ebendas war es, was sie erlebte, außerordentlich befangen, die Augen offen und nachdenklich; ohne Kälte zu empfinden unter der Bluse, die die Stacheln zerrissen hatten, sagte sie sich überrascht und flau wie im Angesicht einer Übelkeit, unter einer unruhigen, gedämpften Freude, in einer Müdigkeit erschauernd vor tiefer Erschöpfung: Was habe ich eigentlich? mein Gott, natürlich gehe ich fort! Sie litt auch und fragte sich sanft, unterwürfig gegenüber sich selbst: Aber warum? Warum habe ich denn den Wunsch zu gehen? Wie einförmig ihre Geschichte doch war, spürte sie jetzt ohne Worte. Dass sie im Einklang mit irgendetwas lebte; die Verstreuung war das Ernsteste, was sie jemals erfahren hatte – Chrysanthemen, Chrysanthemen, die wollte sie schon immer. Ihr schien, sie habe einen verlorenen Sinn wiedergewonnen, und sie sagte sich besorgt und schaukelte eilig und leicht und täuschte sich dabei: Und jetzt? Jetzt? Fortgehen, leiden und allein sein; wie alles andere berühren? Esmeralda war eingeschlafen, zusammengekauert, die Wange tot; ein ferner, unerklärlicher Ausdruck trieb auf etwas Unbestimmbarem in ihrem Gesicht wie auf dem kaum erkennbaren Grund eines Brunnens. Und jetzt? Und jetzt? Ganz Granja Quieta, verschlafen und düster, schien sich zu wiegen mit dem Stuhl über dem Feld.

SIE SETZTE SICH in den qualmenden Zug, der braune Hut schmückte sich jetzt rot – sie kramte in ihrer Tasche nach der Schachtel Zigaretten, die dort unangetastet geblieben waren, seit ihrer Ankunft in Brejo Alto. Sie fühlte sich fröhlich, wie im Inneren des Körpers gekühlt und erfrischt. Wieder allein, begann sie, »die Dinge« zu erfahren, sie zuzulassen. Sie dachte an Vicente, zog mit einem verstörten Seufzen eine Zigarette aus der Schachtel und steckte sie sich an. Was war eigentlich geschehen? Das war die plötzliche Frage, die heimlich, aber mit Nachdruck nach einer bestimmten Antwort verlangte, die sich unmöglich fassen ließ; sie seufzte, unwillig ob ihrer Ohnmacht, die ihr jedoch einen besseren Zugriff auf den Zustand gab, in dem sie sich befand. Was war passiert? Ihr war unklar, was sie mit dieser Frage eigentlich bezweckte. Sie rauchte. Die vage Ahnung von dem, was sie schon immer gewollt hatte, schien beständig in ihr gerungen zu haben, ohne jemals Form anzunehmen. Sie erriet jedoch durch eine rätselhafte Zustimmung zur eigenen Lüge, dass sie, indem sie so beständig gelebt hatte, mit Geduld und Beharrlichkeit wie bei einer täglichen Arbeit, sie erriet also, dass letztlich inmitten der verlorenen Gesten das Wahre ihr entgangen sein musste – auch wenn sie es niemals hätte erkennen können. Und dass sie sich in irgendeiner unbestimmten Minute ihres Lebens entschieden hatte, in irgendeinem Blick oder einer knappen Empfindung, einer Bewegung des Körpers oder einem schlichtweg neugierigen und unbemerkten Gedanken, wer würde es je erfahren. Eine Kette wirrer und nicht zu entschlüsselnder Momente schien als Ritual gewirkt zu haben für eine Vollendung. Und was zu fein gewesen wäre, um sich in der Klarheit der Tatsachen erfüllen zu können, das hatte sich der zähflüssigen Verteidigung einer ganzen Alltagslebens bedient. Ihrerseits, gegen sich selbst, hatte sie sich vielleicht insgeheim damit einverstanden erklärt, einen Großteil ihres Lebens zu opfern, indem sie Lügen anhäufte, falsche Liebe, ehrgeizige Absichten und Genüsse – so wie sie die stille Flucht eines Menschen beschützt hätte, indem sie die Aufmerksamkeit aller auf sich zog mit Aufruhr und Verwirrung. Sie fühlte sich ausgefüllt und ein wenig müde, sie rauchte, aber ihre Augen glänzten ruhig und ausdruckslos. Vor jenem unbestimmbaren Moment war sie auf unmerkliche Weise stärker gewesen, als hätte ein trüber Impuls mit unbekanntem Ziel sie aufrechterhalten;

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