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Der Lüster - Roman

Der Lüster - Roman

Titel: Der Lüster - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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des Schmerzes geschaffen hatte, sie fürchtete sich vor sich, überrascht von der Kälte, mit der sie sich zum Leben führte, und wie sie es bereute, wie sie es bereute! Nicht wagen, nicht wagen, weniger Mut haben und weniger Kraft als ohnehin schon, das, das!, dachte sie leise und sprach sich aufmunternd zu, die Augen mühsam geöffnet in der Halbdunkelheit der Nacht, und der Körper schob sich schwerfällig weiter, mit einer Geschwindigkeit, die fortwährend versagte. Ihr schien, dass in jedem Moment eine Pause entstand, in der sie die Flucht nach hinten antrat, nach hinten, und dann den bereits gegangenen Weg erneut zurücklegen musste. Unsichtbare Zweige verfingen sich in ihrer Kleidung, die Stacheln zerfetzten den Stoff, ritzten ihre Haut mit spitzer Gewalt, und das Blut quoll wie Schweißtropfen. Sie wimmerte nicht, nein, sie wimmerte nicht, sie sagte zornig und nachdrücklich wie zu einem Lasttier, das nicht weitergehen will: Hüh! Hüh!, ihre Stimme kam heiser und eindringlich, sie fasste Mut, fast rannte sie, niemals, niemals hatte ihr Körper so sehr existiert, niemals war es ihr so eine Last gewesen zu leben – der Geist atmete einen zerbrechlichen, zögerlichen Hauch, hingerissen sog sie die Kälte ein, heftig, lenkte sie aber nicht über die Oberfläche des Seins hinaus, außer Atem. Ich verspreche, ich verspreche, dass ich nicht mehr zu Vicente gehe, mein Gott! Geleitet von einer verhüllten Ahnung, die neue Empfindung verbrauchend, wie die Erinnerung an die Vergangenheit sich entfaltet, so dachte sie an die Sünde und sagte sich verstört: Später, später überlege ich mir das genauer, später, ich verspreche, dass ich alles hinter mir lasse, nicht in die Stadt zurückkehre, ja, das war es, was sie wollten, sie, »sie« wollten, dass sie nicht zurückkehrte, ich bleibe hier. Ihr fiel ein, wie sie als Kind über den Friedhof von Brejo Alto gelaufen war, wo dicke, schwere, ruhige Obstbäume standen, und sie sagte sich verletzt wie ein Instrument, das einen Klang freigibt, sagte sich: Iss das Obst nicht, iss es nicht!, sagte sie sich, als ob ihr vorher etwas eingegeben hätte: Iss, stiehl, iss – und wusste dann nur erschrocken zu sagen: Iss das Obst nicht!, lenkte sich ab, indem sie dachte, lenkte sich ab, indem sie ging … Da! da war das Ende des Weges! jetzt brauchte sie nur noch zu laufen und das Feld zu erreichen, danach das Gatter …, das Gatter … ihr Zuhause. Sie fing an, leise Worte zu murmeln in einem tiefen Gebet, sprach zu sich selbst, eindringlich, tobend, geißelte sich mit harten Worten der Reinigung, während sie, die Augen glänzend und außerordentlich fest, bald aufs Feld kam … Das Tor knarrte. Sie war auf dem Land, das zu Granja Quieta gehörte, und da fing sie an zu rennen, während haltlose Tränen ihr aus den Augen rannen, und sie schluchzte, ohne auch nur zu versuchen, sich zu verstehen, lief weiter vorwärts, überließ sich dem Strom des Lebens.
    Immer noch unter Tränen, suchte sie tastend die Schuhe hinter dem Baum. Mit Erde unter den Nägeln bekam sie sie zu fassen, setzte sich dann auf den großen Stein im Garten, hob ihren Rocksaum und schnäuzte sich in den baumwollenen Unterrock. Ihr Blick fiel auf das alte Gebäude, halb verdeckt von dem Baum, unter den sie sich gesetzt hatte: Ein schwacher Lichtschein schien gelblich und düster aus den hohen Fenstern, nichts war zu hören, die Geräusche entstanden und verloren sich auch wieder im Inneren des Hauses. Es kam ihr still vor, übernatürlich, fern – als wäre sie gestorben und versuchte, sich zu erinnern, als könnte es sich jeden Moment auflösen, und der Boden bliebe glatt zurück, leer, dunkel. Wer wusste schon, ob die Wirklichkeit nicht der Tod war – als wäre ihr ganzes Leben ein Albtraum gewesen, und jetzt erwachte sie endlich tot. Doch ab und an kam eine Art ruhiges Summen aus der Mitte des Hauses, wie von Geräuschen, Bewegungen und Unterhaltungen, zermahlen zu einem einzigen Klang. Das war ihr Zuhause, ihr Zuhause – sie besaß einen Ort, der weder Wald war noch dunkler Weg, auch nicht Müdigkeit und Tränen, noch nicht einmal Freude, einen, der nicht die Angst war, verstört und ohne Ziel, einen Ort, der ihr gehörte, ohne dass das jemals gesagt worden wäre, einen Ort, an dem die Leute ohne Überraschung zuließen, dass sie eintrat, schlief und aß, einen Ort, wo niemand sie fragte, ob sie vielleicht Angst gehabt habe, aber wo man sie aufnahm und dabei weiteraß unter der Lampe, einen Ort,

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