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Der Lüster - Roman

Der Lüster - Roman

Titel: Der Lüster - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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Zeitungsverleger am Ende gemächlich, »weißt du, wie wichtig es ist, Ernesto zu sein?«
    Der Junge lächelte vage als Antwort und sah auf die Wand hinter dem Mann, alle lachten taktvoll, einige schlossen die Augen und rutschten in ihren Stühlen hin und her. Irene wollte sich irgendwie dankbar zeigen und lachte lauter; aus Angst, der Zeitungsverleger könnte sich unverstanden glauben, sagte sie enttäuscht, am Ende eines falschen und zärtlichen Lächelns:
    »Oscar Wilde …«
    Der Zeitungsverleger verstummte, aber seine Augen, die noch auf Ernesto ruhten, veränderten sich unmerklich, wurden starr, um nichts durchscheinen zu lassen. Ernesto lächelte. Der Salon verfiel auf einmal wie Puder, das rissig wird auf der Haut, der Blick, der müde wird, die Lampe, die schwächer brennt – Irene wurde von einer hastigen Bewegung gepackt:
    »Sag allen gute Nacht, Ernesto!«
    Lustlos schüttelten alle Ernestos heiße kleine Hand, der lächelte und in der Mitte des Raums stehen blieb, ohne zu wissen, was er als Nächstes tun sollte. Die geweiteten Augen blinzelten schon ernst.
    »Nun?«, fragte Irene und lachte irritiert auf.
    Der Junge sah sie an, sagte unerklärlich, laut:
    »Ja …« Eine Art roter Fleck entstand um eines seiner Augen, Irene betrachtete ein wenig hilflos die dunkle Stelle; sie schien sich nach dem unbedeutendsten Gast umzusehen, auf der Suche nach Unterstützung, sagte schließlich mit schwierigem Lächeln zu Virgínia:
    »Er ist manchmal so sensibel.«
    »Ja, ja«, sagte Virgínia und lachte übertrieben.
    »Jetzt sag allen gute Nacht!«, wiederholte Irene, die spürte, dass schon alles verloren war. Der Junge, alleingelassen, stand weiter da und sah wartend in die Runde. Wie lustig, sagte die Dickste unter den Damen. Der Vater, der großgewachsen zwischen dem Zeitungsverleger und Vicente saß, verfolgte die Szene mit schnellen, angespannten Blicken, Irene suchte ihn für eine Sekunde, die Familie entfaltete sich vor den Gästen. Irene schob das Kind sanft aus dem Raum. Als Ernesto verschwunden war, drehte sie sich um und straffte sich, glättete ihr Kleid über dem schlanken, auf einmal nicht mehr eleganten Körper; alle schienen das Ende zu fordern, sie lachte, sagte laut und beschwörend: Er war eben müde … Ja, sicher, klar, natürlich, sagten eilig einige Stimmen. Der Alkohol hinderte sie daran, zwischen den Geschehnissen kurze, sichtbare Verbindungen entstehen zu lassen, stattdessen liefen sie in sanften Sprüngen ab, in empfindungsloser, milder Schicksalhaftigkeit. Sie hätte nichts trinken sollen, heute war sie doch ohnmächtig geworden, das konnte sich möglicherweise wiederholen – und als hätte Ohnmacht einen geheimen Sinn, ertrug sie nur, die Besinnung zu verlieren, wenn sie alleine war; und aus dem Schwindel zurückzukehren, indem sie die Augen aufschlug und nicht verstand. So fand sie sich auf einmal mit den anderen im Esszimmer wieder, in strammer Haltung auf krummen, dicken Beinen. Und eine der Frauen, schlau, unerschrocken lebendig, schoss einen raschen Pfeil in ihre Richtung:
    »Und dein Bruder? Dein reizender Daniel?«
    Aber noch ehe sie den Mund mit einem Lächeln öffnen konnte, antwortete jemand für sie, und ihr Mund schloss sich zu einem Lächeln zurück. Jemand fügte hinzu: »Er hat geheiratet, schon so lange her, meine Güte!, eine junge Frau aus bester Familie.« Sie selbst brauchte nicht viel zu sprechen, eingeladen war sie ja nur Vicentes wegen. Niemand erwartete etwas von ihrem Körper, er sollte lediglich essen, ohne Aufsehen zu erregen, und dabei von der Serviette Gebrauch machen, mit einem Lächeln. Der reizende Daniel. Da überstieg die Art, wie sie ihn geliebt hatte, auf schwierige und schmerzhafte Weise ihre Kräfte. Sie wünschte sich nur noch eines, das Herz einförmig, glühend und gequält, und zwar vor ihm zu sterben, niemals miterleben zu müssen, wie er die Welt verlor, niemals, niemals, mein Gott – sie starrte auf einen Punkt an der Wand, mit glasigen, strahlenden Augen. Und auf einmal fühlte sie sich eiskalt und roh: Und wenn er gerade jetzt im Sterben lag? warum auch nicht, du dummes Huhn?! kann doch alles sein, oder? ja, allerdings, dummes Huhn! stocksteif hielt sie inne, presste beide Hände aufs Herz und sah irgendwohin, voller Vorsicht und Feingefühl. Während sie die Geräusche rings um sich hörte, wusste sie: Falls sie zu leiden begann, würden alle sich gefährlich von ihr entfernen, eilends, essend und lachend, für immer fort in

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