Der Lüster - Roman
wie ich alles verstehe, überraschte sie sich leidenschaftlich und verwirrt; mein Gott, mach, dass ich traurig bin – sie spürte die Augen und Lippen. Und inmitten von alledem Irenes Kraft, die mit einer gewissen Angespanntheit über allen schwebte, jedes Gesicht peinlich genau überprüfte, ob auch alles in Ordnung war. Dadurch verband sich das Essen mit der Küche, wohin Irene schnelle Blicke warf, eine vermutlich einfachere Bühne, gelbliches Lampenlicht, Rauch, ein Haufen abgeräumter Teller, das Hausmädchen, das in frisch gestärkter Schürze und Haube ihre Unpersönlichkeit verlor. O nein! …, sagte Maria Clara lachend, eine Hand mit blitzenden Nägeln ein wenig erhoben, darin eine Zigarette, den sanften, reifen Körper etwas vorgebeugt. Die Gäste bildeten eine Gruppe, die sich verstand. Sah einer von ihnen die Zeichnung einer traurigen, müden Frau im roten Kleid, so sagte er lakonisch: Guter Strich. Und so versammelten sich die Männer und Frauen für einen Augenblick in diesem braunen Salon – bemerkte sie mit einem Seufzen. Sie sagte mit klarer, angenehmer Stimme – sie war fern von Granja Quieta, fern ihrer eigenen Herkunft, sie schwamm in unbekanntem Gewässer, aber sie schwamm:
»Gibst du mir mal bitte die Oliven.«
Und genau da wurden die Dinge wahrhaftig. Wer hatte sie gezwungen, den Mund aufzumachen, wer; sie hätte in dem Augenblick weinen können, erschrocken und müde, denn das war nun wirklich der befremdlichste Satz, den man sagen konnte: Gibst du mir mal bitte die Oliven. Die Dinge flohen vor ihr, glänzend in der Ferne, der Tisch funkelte vor Besteck und Gläsern, alle neigten die Köpfe über ihre Teller und lächelten, sie war erschöpft von dem ständigen leichten Lächeln, ohne jemals laut herauszulachen – das Gesicht glatt, groß und gerötet. Der Mann gegenüber war ein bedeutender Journalist, hatte Vicente zu ihr gesagt, aber hinzugefügt: »Natürlich ist er als Freund von Irene hier und nicht als Zeitungsverleger.« Er war kein bedeutender Journalist, fiel ihr wieder ein, er war Zeitungsverleger. Sein Gesicht wie eine Schleife, die aufgeht, Vicente. Wenn sich Daniel unter den Anwesenden befunden hätte, geistreich, wie er geworden war, ob »geistreich« wohl das Wort war?, in ihr eine konfuse Furcht …, hätte er sicher geantwortet: Nein, es ist wie eine Wunde, die noch nicht ganz vernarbt ist. Wirklich, Daniel, wenn er lachte, dann zogen sich die Gesichtszüge lang, und man musste fast schreien: Pass auf, pass auf. Sie bat das Hausmädchen um Wasser, so natürlich war auf einmal das Leben. Vor allem gab es manchmal Sachen, die, wenn sie passierten, so stark waren, dass sie ihr Gegenteil vernichteten, so real es auch gewesen sein mochte – drückte sie das richtig aus, Vicente? denn sie konnte sich nicht erinnern, wie ihr Körper vor Vicente gewesen war, es sei denn, sie ginge zurück an ein Fenster spätnachts, wenn sie nicht schlafen konnte. Die Liebe war in einer einzigen Welle gekommen, hatte das Warten ausgelöscht. Aber die Kraft, die sie als Jungfrau besessen hatte, würde sie nie wieder haben. Gleichzeitig schien ihr innerlich eindeutig, dass sich nichts verändert hatte, nichts. Genau so traf es auch nicht zu … Aber dass Vicente und die Stadt vorübergehend waren wie der Regen, der nicht von Dauer sein kann. Sie hätte das gern zu Vicente gesagt, es wäre gut gewesen, wenn er merkte, dass er sie nicht glücklich gemacht hatte – oder hatte er doch? –, und wenn er dann gesagt hätte: Aber Virgínia, Schatz, das will ich doch nicht … hätte sie geantwortet: Aber es macht mich so glücklich, um deinetwillen zu leiden … das ist das Höchste, was ich für einen Menschen tun kann … Sie hatte um Daniels willen gelitten, nichts weiter. Der Zeitungsverleger hatte fleischige, begierige Ohren, grob aufgeknöpft neben seinem Gesicht, und beim Sprechen zeigte er mit dem Finger auf die unmöglichsten Dinge, die es hier gar nicht geben konnte. Aber was war geschehen?! Herr im Himmel! es machte sie so glücklich, sie kam sich vor wie ein Stück bebendes Licht, sie hatte die tiefe Eingebung, dass das Leben gut war – aber das würde enden, dieser funkelnde, eiskalte Augenblick, dieser Moment des gelungenen Abendessens, gemischt mit einem ruhigen und warmen Wohlgefühl im Magen, dieser Moment, der in einer verdichteten Erinnerung den Sieg der Minuten versammelte … was war geschehen?! was war nur geschehen? jemand bot ihr eine Zigarette an, und sie
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