Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Lüster - Roman

Der Lüster - Roman

Titel: Der Lüster - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
Vom Netzwerk:
noch etwas hinzufügen sollte, vielleicht irgendeinen Scherz. In einer Ecke des Zimmers brannte weiß eine Lampe und schickte sanfte Kreise von Licht und Schatten über die Wände und die Decke, weiche farblose Schleier; am Kopfende des Betts hing eine Christusfigur mit trockenen Wunden, müde. Sie nahm den Hut ab, der Kopf wirkte nackt und ärmlich, das Haar leblos. Ja, sagte sie mit trüber Glut. Sie betrachtete sich im Spiegel am Frisiertisch: Wo war nur die laue Macht, die sie im Moment der Begegnung gespürt hatte?, kämmte sie sich. Aber es gab sie doch – beharrte sie fast verzweifelt –, ja, eine fast bewusstlose Macht, schimmernd am Grund eines Gesichts, das ernst und gekränkt blieb wie das eines Mädchens. Erneut befiel sie ein alter Gedanke, überaus vage und wirbelnd, und es war nicht jener, der hätte aufkommen sollen, sondern ein anderer, klein und zu schwierig, um gedacht zu werden:
    »Ich nehme mich zurück, um nicht von allen geliebt zu werden.«
    Das war es nicht! das war es nicht! die Empfindung danach jedoch galt, als hätte sie gesagt, was sie nicht einmal denken, ja noch nicht einmal fühlen konnte. Aber wenn sie die Augen nur einen Spalt öffnete und in ihrem Wunsch beständig war, würde es ihr gelingen, sich zu sehen wie aufgehäufte Schleier unter Lichtern, bevor ein Walzer erklingt – obwohl sie so sehr gewachsen war, die überlegten Bewegungen und die Angst, der klare Abend könne wiederkehren, traurig oder fröhlich, und wiederkehren eine gewisse Art des Sehens, in die sie manchmal verfiel, wenn sie nicht wusste, wie sie sich falsch geben sollte unter Unbekannten, sie konnte sich dann nicht entziehen wie die schlafenden Blumen, sondern verströmte nutzlos Duft, sah und hörte alles, mischte sich und irrte verstört umher. Sie raffte ihren Mut zusammen, nahm Haltung an und gab sich fälschlich eine schnellere Bewegung, die in dem leeren Zimmer allzu lebendig widerhallte. So ging sie auf den Salon zu. Sie durchquerte das Esszimmer, das still erleuchtet lag in einer einzigen blassen Farbe, weißlich und golden, fest unter dem sanften, kühlen Staub. Ihr Schwung verebbte – sie hatte sich schon immer dem Luxus unterworfen gefühlt, den glänzenden, changierenden, feindseligen Oberflächen. Aufmerksam hielt sie inne. Stille hielt sich an dem gedeckten Tisch. Aus einer nicht ganz so sauberen Welt kommend wie dieser, überflogen ein, zwei Stubenfliegen die geruhsamen, funkelnden Teller. Ein unbewegtes Lächeln lag über dem ganzen Raum, als hätte es vor lauter Ausdehnung den Sinn verloren und wäre nur noch ein Abglanz seiner selbst. Virgínia schwebte zwischen dem Tisch, der Luft und dem eigenen Körper, trieb suchend dahin – so schwer zu entschlüsseln war diese festliche Stille. Nicht vergessen, nicht vergessen, dachte sie zerstreut und beobachtete die Szenerie, als müsste sie gleich aufbrechen und von dem erzählen, was sie gerade sah. Auch weil sie spürte, dass der Alkohol die Erinnerung an diese Momente verkürzen würde. Sie streckte die leicht trunkenen Hände aus, in tastender Zärtlichkeit. Ohne zu wissen, warum, überrascht und erfreut, fühlte sie sich am Rand einer Offenbarung. Nicht vergessen … Ein Schimmer von blasser Erregung umglänzte die wild brennenden Lichter, die Glühbirnen verzehrten sich vor Lust, blutleer. Nicht vergessen. In einem eisigen, sachten Blinken war für einen Augenblick ein Weinglas da und erlosch dann für immer in der aufmerksamen Stille des Gläserschranks. Abermals versuchte sie irgendeine Geste; es gelang ihr, ein wenig die Finger auszustrecken, nichts weiter, sie zog sie wieder zurück. Denn was hätte man tun sollen angesichts dieser Welt? die zwei Gläser, die sie getrunken hatte, wärmten sie, sie hüllten sie in eine feine körperliche Müdigkeit, während die Augen mit klarem Blick wahrnahmen. Sie fühlte sich fremd in dieser Umgebung, erriet aber, dass sie ihr untergeordnet war durch Faszination und Demut. In wenigen Minuten würde sie unvermeidlich den Salon betreten, und alle würden nicht sehen, wie sie ihm eine Sekunde lang zulächelte. wie sich befreien? nicht von etwas Bestimmtem, sondern einfach nur sich befreien, sie hätte nicht zu sagen gewusst, wovon. Einen Augenblick lang blieb sie gedanken-los, stand nur da, den Kopf gebeugt. Sie nahm eine Serviette, ein rundes Brötchen … mit außerordentlicher Anstrengung, einen verblüfften Widerstand in sich brechend, gab sie dem Schicksal eine andere Richtung, warf Serviette

Weitere Kostenlose Bücher