Der Lüster - Roman
spürte, wie ihr Unglück mit jedem Augenblick wuchs. Zur selben Zeit lächelte sie, als wäre es mild, das zu ertragen. Mit einem tiefen Gefühl von Ironie, das niemals als Lächeln auf ihre Lippen hätte kommen können, aufgrund eines tiefen Gefühls von Ironie, ja, von Pein dachte sie an die beiden mit Hingabe, überließ sie einander und verachtete sie zugleich mit einer Aufrichtigkeit, die sie schlagartig von ihnen befreite. Der Wunsch kam in ihr hoch, sie zusammen zu sehen, fröhlich, und ihr Widerwille gegen Vicente wuchs in dem Maß, in dem er lachte, während er am Esszimmertisch rauchte – war das also der Mann, mit dem … Sie trank ein Glas süße und saure Nadeln, die ihr die Nase hochstiegen. Trinkerin, Trinkerin, sagte sie sich mit heißer Scham, schon wieder lächelnd. Es überraschte sie, dass sie keine Lust bekam, Dummheiten zu machen; höchstens hätte sie etwas sagen wollen, leise und geheimnisvoll, fast rasend, zu all den Partikeln in dieser milden, intimen und glänzenden Luft: Lebwohl, Lebwohl. Und darin lag eine Beklemmung gefangen, ein dunkler, undurchsichtiger Fleck.
»Danke, ich nehme gern noch ein Glas … aber gewiss doch …«, sagte sie und wiegte sich hin und her mit der Zuvorkommenheit dessen, der ein Trinkgeld erwartet.
»Virgínia«, lachte Vicente, »findest du nicht, dass das ein bisschen viel ist …«
Er hatte eine Art, vor anderen mit ihr zu sprechen … Klar und kalt, so dass alle es hörten, es mitbekamen, und sich nichts zwischen ihnen festigen konnte. Nichts Wesentliches war erreicht durch ihre Liebe, gar nichts?! Maria Clara war von vielem besessen worden, daher ihre reife, satte Ausstrahlung; sie hatte alles Mögliche leichthin probiert, überaus erfüllt, auf ausgeruhte und erschöpfende Art. Doch plötzlich schien ihr Gesicht feiner zu werden, ein wenig passiv und mutlos, ganz unschuldig, als versuchte sie, sich in sich einzuschließen. Irgendein Gedanke verlieh ihr etwas Selbstvergessenes, der Mund verzog sich zu einem Ausdruck, der schon fast hässlich war, intim, als wäre sie alleine. Man konnte jedoch kaum Vertrauen schöpfen und näher an sie herantreten, denn aus ebendieser Art ergab sich eine ruhige und freie Frau, die Blumen auf Tonkrüge malte. Maria Clara lachte, wurde ein Stück gewöhnlicher, älter und anziehender, und Virgínia überließ sich dem Klang ihres Lachens, halb ernst, halb erschrocken. Immer mehr fürchtete sie, ihrer Faszination zu erliegen, wie es ihr in der Kindheit mit Daniel geschehen war, und zu ihrer Sklavin zu werden. Doch Maria Clara hätte ihr nicht einmal Befehle erteilt, sie brauchte Virgínia auf eine Weise nicht, die sie kränkte. Mit von Butter feuchten Lippen wandte sich ihr Tischnachbar zum ersten Mal an sie:
»Ein schönes Essen, nicht wahr?«
Sie musterte ihn starr und lange, ließ ihren Blick an seinen Lippen entlanggleiten – fragte hart und mit ruppiger Freude, obwohl sie durchaus gehört hatte:
»Was …« Aber der Moment löste sich auf, und sie erkundigte sich taktvoll: »Wie bitte?«
Zwischen Adrianos Teller und dem ihren trieb vereinzelt eine grüne Erbse, rund und fettig. Auf dem spitzenbesetzten Tischtuch! Bevor sie es verhindern konnte, sah sie ihn an: War ich das oder du? Auf der Stelle wurde sie rot, er aber – begreifend? – hielt ihr den runden Brotteller hin – verzeihend? aber es war doch nicht sie gewesen, die … die Erbse … – und sagte dabei freundlich, ja, freundlich mit distanzierter, knapper Geste:
»Brot?«
Vicente hatte ihr geraten, sich neben Adriano zu setzen, da müsse sie nicht viel reden, und er sei ein aufmerksamer Tischgenosse. Er hatte darauf bestanden, dass sie zu dem Essen kam, hatte ihr Blumen geschickt. Aber sie wusste, dass dieses Bemühen von Irene oder einem anderen ihrer Gäste ausgegangen war; tatsächlich lief alles gut, das Abendessen war ein Erfolg, Irenes Mann lachte über den Tisch gebeugt, obwohl die Stimmen sich immer wieder sehr über das harmonische Klirren des Bestecks erhoben und unangenehm laut wurden – nach der Zusammenkunft würden sie einander freundlich begegnen, dankbar, weil niemand beleidigt worden wäre und kein Stückchen Huhn vom Teller gesprungen, weil niemand so viel gegessen hätte, dass er es bereuen müsste, nur diese Fülle, die nur ein klein wenig weitergeführt schon beschwerlich geworden wäre, die Augen davon trübe und leidend – aber nein, nur diese leichte Benommenheit, ach ja, ach ja, ach ja. Wie ich verstehe,
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