Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Lüster - Roman

Der Lüster - Roman

Titel: Der Lüster - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
Vom Netzwerk:
vor dem Schlaf, als fiele sie dann in ihren wahren Zustand. Und dieser Augenblick war von so tiefer Stille, dass er den ganzen Tag in sich auflöste, sie ins Innere der Nacht stieß ohne Angst, ohne Freude, schauend, schauend.
    Am Ende war es natürlich, allein zu leben. Kaum war die Wohnung gemietet, hatte Daniel schon ein Leben gehabt, in dem für sie kein Platz mehr war. In seinem ersten Brief nach Hause hatte er geschrieben, sie hätten sich für einen Fremdsprachenkurs angemeldet und er selbst habe bei Nachbarn eine Möglichkeit gefunden, um Klavier üben zu können. Tatsächlich wussten sie nicht einmal, wie sie es anstellen sollten, Kurse zu finden oder Nachbarn. Vor allem war es ihnen darum gegangen, den Vater zu beruhigen, und danach hatten sie sich, da der Vater ruhig war, ebenfalls zurückgelehnt und jeglichen Kurs vergessen, sie lebten nun einfach in der Stadt. Und so gewann das Geld an Macht – Daniel gab fast alles aus, er hatte bald Freunde gefunden und traf sich mit ihnen außerhalb ihrer Wohnung. Virgínia ging spazieren, ging spazieren. Einmal war sie mitgegangen – die Wohnung gehörte irgendwem, es war so lange her, Daniel spielte Klavier, eine andere Dame spielte, die schlanken Arme fast starr an den Hüften, den Kopf kraftlos nach vorne geneigt, es wurde geraucht, ein paar junge Frauen waren da, blond, ruhige Schwestern, die auch über Politik diskutierten, Adriano stand zwischen dem Fenster und irgendetwas anderem. Dort hatte sie Vicente kennengelernt.
    »Lächle doch einfach ein wenig«, hatte Vicente gescherzt, »das ist die beste Einstellung zum Leben.« Schon immer sprach er gerne von der Einstellung zum Leben. Sie betrachtete ihn unergründlich.
    »Ich kann nicht lachen«, sagte sie in einem Versuch, intelligent und ernst zu wirken, und redete irgendetwas von »Tiefe« oder »tiefgründig«. Vicentes Augen glänzten ein wenig, amüsiert:
    »Ah, eine tragische Tiefe …« Er hatte die Gabe, das, was die anderen sagten, ins Schwanken zu bringen, indem er es einfach nur wiederholte, die Lippen behäbig, fein, später sollte sie das erfahren. »Ja, die Tiefe.« Sie sah ihn an, hätte es schwierig und nutzlos gefunden zu antworten, lächelte stattdessen kokett, müde und aufgeregt. Lange sah sie ihn nicht wieder, wie für immer. Das Tiefe war weder tragisch noch komisch, es war ein Baum, ein Fisch, sie selbst – so die unmögliche und gelassene Empfindung. Ihr Leben ging weiter, als kennte sie niemanden. Danach verging viel Zeit, bis sich die Tür öffnete, sie irgendeinen Gedanken für immer unterbrach, für immer, sie wartete mit dem Nähzeug in der Hand, Daniel sagte:
    »Virgínia, das ist meine Verlobte.«
    Für lange, hohle Minuten schien das Zimmer leer, die Wohnung lautlos und voller Wind. Aber Daniel, Daniel, wie konntest du … Vor allem hatte sie Vicente gerade erst kennengelernt, und die Liebe war ihr unvertraut, sie bedeutete damals einen abrupten Bruch mit der Vergangenheit. Das Mädchen war ein großgewachsener Körper, wohlgeformt und gepresst, gekrönt von einem ovalen, harten und makellosen Gesicht, einem weiblichen Lächeln aus Elfenbein. Beim Anblick ihrer Kleidung kam ihr die Erinnerung an den Geruch einer frisch gedruckten Zeitschrift, bei der einige Seiten noch aneinanderklebten. Aber Daniel … Eine Ausstrahlung von Intimpflege, von Reinheit, gewonnen durch Antiseptika, und inmitten der mühsamen Unterhaltung dieser klare und neue Satz, neu wie ein neuer Gegenstand, der eine Stille aus gesenkten Blicken in der Luft hängen ließ: Ich war schon immer ein beschäftigter Mensch, ich hatte nie Zeit, um mich zu langweilen. Daniel und Virgínia sahen sich nicht an. Vielleicht wenn sie älter würde, wer weiß, dachte Virgínia, während sie in angeschlagenen Tassen zu starken Tee servierte, vielleicht wenn sie älter würde, mit ein paar Falten und dichterer Farbe … Ja, ja, wer weiß? einstweilen war sie so entsetzlich sauber zu lieben. Anders als Vicente, den sie erst jetzt kennenlernte. Nein, er war nicht sauber zu lieben, mit ihm war die Liebe wie die Innenseite der Augen, wenn sie geschlossen waren, schnell fortgerissen in Unverständnis, in dunkle Befriedigung voll Unwohlsein, jetzt wusste sie es. Und gut aussehend war er außerdem. Er trug eine Brille. Es gab Momente, in denen seine Züge so voll wurden, als ob sie sich anschickten, etwas zu sagen – sein Körper war groß und stark, aber wie aus einem einzigen Muskel, der neugeboren war und biegsam vor

Weitere Kostenlose Bücher