Der Maedchenmaler
zu. Ich hab mich gefühlt wie ein Vorwerkvertreter, der ihrem Lieblingsteppich eine Spezialbehandlung verpassen will.«
Mike hob das Foto auf und betrachtete es. Ilka lachte so unbeschwert in die Kamera, dass es ihm das Herz zerschnitt. Hinter ihr war das Meer. Sie hatten sich so darauf gefreut, mal zusammen hinzufahren. Was war mit ihr passiert?
»Einige in der Gegend von Lara Engler haben Ilka wohl ab und zu gesehen. Aber sie sind sich nicht sicher, ob es auch am Tag ihres Verschwindens so gewesen ist. Etwas Ungewöhnliches hat jedenfalls niemand bemerkt.«
»Und in der Straße, in der Ilka wohnt?«, fragte Jette.
»Nichts.« Merle trank einen Schluck. Allmählich bekam ihr Gesicht wieder Farbe. »Bis auf eine Frau Scheibner. Die wohnt am Anfang der Straße. Und die hat erzählt, ihr wäre ein fremder Wagen aufgefallen, der manchmal dort geparkt hätte.«
»Und damit rückst du jetzt erst raus?« Mike beugte sich wie elektrisiert vor. »Welche Marke?«
»Frau Scheibner ist über siebzig, hat keinen Führerschein und unterscheidet Autos nach den Kategorien groß oder klein und hell oder dunkel.«
»Und?« Mike konnte seine Ungeduld kaum zügeln. Er trommelte nervös mit den Fingern auf den Tisch.
»Groß und dunkel«, sagte Merle. »Und bevor du mich jetzt nach dem Kennzeichen fragst - das hat sich die alte Dame ausnahmsweise mal nicht gemerkt.«
»Mist!« Mike lehnte sich so heftig auf seinem Stuhl zurück, dass das Holz bedenklich ächzte. »Warum verbringen nicht Männer, die was von Autos verstehen, ihre Freizeit am Fenster?«
»Besten Dank«, sagte Merle spitz. »Chauvi lässt grüßen.«
Mike ging nicht darauf ein. »Ilkas Vetter Leo ist der geborene Autofreak«, überlegte er laut. »Wenn einer was über fremde Wagen weiß, dann er.«
»Und Kinder merken sich vielleicht eher die Autonummern«, sagte Jette. »Ich jedenfalls hatte früher sogar ein kleines Heft, in dem ich sämtliche Kennzeichen gesammelt habe, die mir begegnet sind.«
Mike und Merle sahen sie verständnislos an.
»Nur so«, sagte Jette. »Just for fun.«
Doch da war Mike schon aufgestanden und hatte das Telefon geholt. Gleich nach dem zweiten Klingeln war Ilkas Tante am Apparat.
»Ich bins. Mike«, sagte er. »Entschuldigen Sie bitte, dass ich so spät noch anrufe, aber ich müsste dringend mal Leo sprechen. Es geht um Ilka.«
Sie fragte nicht nach. Er hörte ihren Atem und begleitete sie vor seinem inneren Auge die Treppe hoch und in Leos Zimmer.
»Leo?«
Ein unwilliges Stöhnen.
»Mike ist am Apparat. Er möchte dich etwas fragen.«
»Hi, Mike.« Leos Stimme am Telefon, wacklig vor Müdigkeit. Ein herzhaftes Gähnen. »Was gibts?«
Mike musste unwillkürlich lächeln. So war Leo. Immer bemüht, cool zu wirken, selbst im zerknitterten Schlafanzug und mit zerzaustem Haar.
»Hab ich dich geweckt?«, fragte er.
»Schon gut, Mann.« Leo gähnte noch einmal. »Was gibts?«
»Ist dir in letzter Zeit ein fremder Wagen aufgefallen, der in eurer Straße geparkt hat?«
»Nur einmal. Ein Mercedes. S-Klasse. Getönte Scheiben. Wahnsinnsfelgen. Der Hammer, Mike. Der fährt locker seine zweihundertfünfzig.«
Mikes Herz tat einen Sprung. »Kannst du dich an die Farbe erinnern?«
»Es war Morgen und es war noch dunkel. Bis auf die Laternen. Aber ich weiß, dass er grau war.«
»Und das Kennzeichen?«
»War verdeckt von dem Wagen davor.«
»Danke, Leo. Du hast mir sehr geholfen.«
»Warum willst du das wissen, Mike? Gehört der Wagen Ilkas Entführern?«
Es gelang Leo immer wieder, Mike in Erstaunen zu versetzen. Wahrscheinlich hatte er keine Sekunde lang an eine andere Ursache für Ilkas Verschwinden geglaubt.
Und er selbst?
»Möglich«, sagte er.
»Und du suchst ihn?«
Mike wusste nicht, was er antworten sollte. Nach kurzem Zögern entschied er sich für die Wahrheit. »Ja«, sagte er.
»Ich werds keinem erzählen. Machs gut, Mike.«
Mike hörte ein Klacken und das Gespräch war beendet.
Jette und Merle sahen ihn gespannt an.
»Ilka ist entführt worden«, sagte er.
Wie ein Einbrecher schlich Bert in sein eigenes Haus. Margot war längst ins Bett gegangen. Sie hatte ihm keinen Zettel hingelegt, was bedeutete, dass sie über seine Verspätung verärgert war. Er seufzte. Sie hatte nie viel Verständnis für seine Arbeit aufgebracht, aber dass sie ihm eine Verspätung derart verübelte, war neu.
Leben heißt eben Entwicklung, dachte er und erschrak ein wenig vor seinem
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